In einer jüdisch-christlichen Familie wächst Gerhard Beck im Berlin der 1920 und 30er Jahre auf. Später nennt er sich Gad. Eine aufregende Zeit der Suche nach der eigenen Identität, Religion und Sexualität, nach Abenteuer, zunächst mit wenig Angst vor Repression durch die Nationalsozialisten erlebt er dort. Schließlich hat er den Plan, Deutschland schon bald gen Palästina zu verlassen. Doch dann wird er krank und lernt in einer jüdischen Jugendgruppe seine große Liebe kennen: Manfred Lewin, 20 Jahre alt, Schöngeist, Poet. Eine tiefe Bindung entsteht – und der Drang, sich dem System entgegenzustellen.
„Unsere Liebe war so stark, die Nächte gehörten uns“, erinnert sich Gad Beck später in Interviews. Es ist 1941, Gad gerade erst 18 Jahre alt geworden. Inzwischen lebt er in einem Berlin mitten im Zentrum des NS-Terrors, in einer Stadt zwischen Kriegseuphorie und der beginnenden systematischen Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden. Schon seit 1938 ist die Familie „staatenlos“. Gads jüdischer Vater, seine vom Protestantismus zum Judentum konvertierte Mutter und seine Schwester müssen seitdem in den engen Verhältnissen eines so genannten Judenhauses im Berliner Scheunenviertels leben. Davor hatten sie im schicken Weißensee gelebt.

Und dennoch ist für Gad diese schreckliche Zeit die wichtigste in seinem Leben, wie er später in seinem biografisch geprägten Roman „Und Gad ging zu David“ schreibt, der in den 1990igern erschien. Sich seiner Homosexualität schon länger bewusst, hat er zu dieser Zeit einige Affären hinter sich. Mit Lehrern, Mitschülern, mit anderen Jungen im Hachschara-Lager in Königs Wusterhausen, die sich auf die Auswanderung nach Palästina vorbereiten. Es sind Abenteuer: aufregend, austestend, mehr Körperlichkeit als Liebe. Mit Manfred Lewin ist es anders.


Der junge Manfred Lewin aus einer jüdischen Familie ist künstlerisch veranlagt, malt, schreibt Gedichte. Gad lernt ihn bei den Theaterproben in einer jüdischen Jugendgruppe kennen. „Es war unendliche Liebe. Ich brachte ihn zu meiner Familie mütterlicherseits, und sie versprachen uns, dass wir jederzeit zu ihnen kommen könnten, wenn wir in Schwierigkeiten wären.“ Und genau das steht den beiden bevor.
Das Pärchen ist gleich doppelt in Gefahr. Homosexuelle Männer werden von den Nazis systematisch verfolgt und im Oktober 1941 beginnen die systematischen Massendeportationen von Jüdinnen und Juden aus dem Deutschen Reich, darunter auch jüdische Freundinnen und Freunde von Gad und Manfred. Wegen ihrer ursprünglich evangelischen Mutter bleiben Gad und Schwester zunächst von der Deportation verschont. Stattdessen muss er Zwangsarbeit leisten, genau wie Manfred.

„Und enger wurde unser Band“, schreibt Manfred im Frühsommer 1942 in ein kleines 17-seitiges Büchlein. Er schenkt es seinem Geliebten Gad. Ein Abschiedsgeschenk, wie sich bald herausstellen wird. Im November 1942 klopfen Gestapobeamte an Manfreds Tür und fordern ihn und seine Familie dazu auf, sich an einer Sammelstelle einzufinden. Das erfährt Gad am Abend. „Es war eine Nacht, die ich nie vergessen werde. Ich dachte immer nur, jetzt nur nicht den Verstand verlieren, denk nach, was kannst du tun? Ich muss etwas tun“, erzählt er später in einem Zeitzeugeninterview.
Und er tut etwas. Er leiht sich eine Hitlerjugend-Uniform, geht zum Sammellager und behauptet, Manfred habe an seiner Arbeitsstelle Wohnungsschlüssel entwendet, was unverzüglich mit ihm vor Ort im Betrieb geklärt werden müsste. Die Gestapobeamten fallen darauf herein, Manfred kann mitgehen. Eine kurze Freiheit: Nach ein paar Schritten kehrt er um. „Ich werde mich nie frei fühlen, wenn ich mich jetzt von meiner Familie davonschleiche“, erklärt er Gad und verschwindet – für immer. Die Familie Lewin wird am 29. November 1942 in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Dort verliert sich ihre Spur.

Nach der Deportation von Manfred
Für Gad bricht eine Welt zusammen und er trifft eine Entscheidung. Nie wieder soll so etwas passieren. „Ich muss Menschen in den Untergrund bringen, bevor sie abgeholt werden“, schießt es ihm in diesem Schlüsselmoment durch den Kopf. Er schließt sich der religiös-zionistischen Widerstandsgruppe Chug Chaluzi an, nutzt seine Chuzpe, seinen Einfallsreichtum und seine guten Kontakte in die homosexuelle Szene, um Fluchtwege und Verstecke für andere Jüdinnen und Juden zu finden.
1943 wird Gad Beck zusammen mit Familienmitgliedern in der Berliner Sammelstelle Rosenstraße interniert, aber nach zweieinhalb Wochen nach Protesten nicht jüdischer Angehöriger mit anderen Inhaftierten wieder freigelassen. In den letzten beiden Kriegsjahren wird er selbst Leiter von Chug Chaluzi. 1945 wird er verraten und inhaftiert. Dokumente, die in den Arolsen Archives verwahrt sind, weisen darauf hin, dass sein Transport in das Konzentrationslager Sachsenhausen kurz bevorstand. Eine Bombe rettet ihn ironischerweise vor der Deportation. Er wird verletzt, kommt in ein Krankenhaus und wird dort am 24. April 1945 von der Roten Armee befreit.


Nach Kriegsende geht Gad mit seinen Eltern und seiner Schwester nach München und wartet in einem Camp für Displaced Persons auf seine Emigration nach Palästina. Er verlässt Deutschland 1947, lebt lange in Israel, beginnt dort ein Psychologie-Studium und pflegt enge Kontakte nach Wien, wo er seinen Lebenspartner kennenlernt. 1979 kehrt er schließlich nach Berlin zurück. Er wird Leiter der jüdischen Volkshochschule, veröffentlicht seinen von biografischen Erinnerungen inspirierten Roman und ist einer der ersten Shoah-Überlebenden, die offen über ihre Homosexualität sprechen.
Am 24. Juni 2012, sechs Tage vor seinem 89. Geburtstag, stirbt er. An seine erste große Liebe Manfred Lewin erinnert heute ein Stolperstein, verlegt im Scheunenviertel. Wer ihn dort sieht, wird nicht nur an seine Ermordung erinnert – sondern auch an eine Geschichte, die tief berührt.

Die Dokumente zu Margot und Gad Beck
An den Beispielen von Gad und Margot, später Miriam Beck zeigt sich die Komplexität historischer Dokumente. Die Angaben über die beiden Personen variieren je nach Quelle: Die „Gad Beck Papers“ sowie das Zeitzeugeninterview mit Gad Beck, die beide über das United States Holocaust Memorial Museum (USHMM) zugänglich sind, stimmen in sich überein. Dort wird Berlin als Geburtsort beider Geschwister genannt, und Gad Beck bezeichnet Miriam (Margot) Beck als seine Zwillingsschwester.
In den Unterlagen der Arolsen Archives hingegen finden sich abweichende Informationen – sowohl im Vergleich zum USHMM als auch innerhalb der Dokumente selbst. So sind dort unterschiedliche Geburtsorte, Geburtsjahre und Nationalitäten für Gad Beck vermerkt. Sowohl bei Miriam als auch bei Gad wird hier immer Wien anstelle von Berlin aufgeführt. Wie auch in einem Dokument von Gad ist hier ihre Nationalität als „englisch“ eingetragen.
Solche Unterschiede lassen sich nicht immer eindeutig klären: Sie können auf bewusste Anpassungen in schwierigen Lebenssituationen, auf Gedächtnislücken oder auf einfache Schreib-, Übersetzungs- bzw. Übertragungsfehler zurückzuführen sein.
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