Seit fast 80 Jahren lagern originale Inhaftierungsdokumente aus Konzentrationslagern wie Auschwitz, Buchenwald oder Dachau bei den Arolsen Archives. Aber nicht weggeschlossen in Archivboxen, sondern jahrzehntelang als Arbeitsmittel, tausendfach berührt und bald vom Verfall bedroht. Früh wurden sie deshalb kopiert. Jetzt wird ein Teil der Dokumente neu sortiert und digitalisiert. Um sie noch besser zu bewahren und noch mehr Informationen aus ihnen herauszuholen.
„Wir, die nun in den Arbeitsprozess involviert sind, gehören vermutlich zu den letzten, die diese Originale je in den Händen halten werden“, sagt Elke Helmentag, Leiterin des Teams Arrangement. Zurzeit sichtet und sortiert sie zusammen mit ihren zwei Mitarbeitenden originale Inhaftierungsdokumente des Konzentrationslagers Buchenwald. Nach dem 2. Weltkrieg waren sie der Vorläuferorganisation der Arolsen Archives, dem International Tracing Service (ITS), von den US-Amerikanern übergeben worden.
Vom Arbeitsmittel zum Archivgut
Seit damals sind die Dokumente ein zentrales Arbeitsmittel für die Mitarbeitenden und eine wichtige Informationsquelle. Zunächst für die Suche nach Vermissten, dann für die Klärung von Ansprüchen auf Entschädigungszahlungen, mittlerweile vor allem für die Forschung und für nachfolgende Generationen, die mehr über verfolgte Angehörige wissen möchten.. Tausendfach aus Ordnern geholt, durchblättert, kopiert, mittlerweile brüchig geworden, vergilbt, manche Buchstaben kaum noch leserlich – und seit vielen Jahren schon in einem Depot aufbewahrt, um sie zu schonen.
Originale zugänglich machen
Stattdessen arbeiteten die Suchteams jahrelang mit Kopien, erstellt mit der damals recht limitierten Technik. „Wenn man aktuell in unser Online-Archiv schaut, findet man noch viele dieser schwarzen Negativkopien“, erklärt Elke Helmentag. „Wir wollen aber stattdessen die Originale als Informationsquelle direkt zugänglich machen und dauerhaft bewahren. Wir scannen sie also neu ein, mit einer hohen Auflösung.“ Je nach Zustand reinigt das Team die Dokumente zuvor, entfernt Metallklammern und Klebestreifen. Drohen Beschädigungen, werden die Dokumentendirekt an das Team weitergereicht, das für den Erhalt zuständig ist und konservatorische Maßnahmen anstößt.



Bedürfnisorientierte, kleinteiligere Verzeichnisse
Die meisten Originale, um die es bei diesem Projekt geht, sind Inhaftierungsdokumente, teilweise unübersichtliche, schwerleserliche Listen mit tausenden von Namen, aber auch Häftlingspersonalbögen, bisher in grob kategorisierten Ordnern archiviert. „Wir gestalten dies im Zuge der Neudigitalisierung nun viel kleinteiliger. Wir arrangieren um. Wir legen ein komplett neues Verzeichnis für die Dokumente an. Zukünftig wird es für jeden einzelnen Transport, für jede Überstellung, eine eigene Verzeichniseinheit mit einer Beschreibung geben, so dass neben der Namenrecherche auch gezielt nach Datum, Herkunfts- und Zielort gesucht werden kann.“
Die neuen, detaillierten Beschreibungen im Online-Archiv helfen sowohl Forschenden als auch Angehörigen, gezielter zu suchen und rasch Informationen zu Ereignissen und Schicksalen zu finden. „Es gibt ja ganz unterschiedliche Anlässe, warum Menschen unser Online-Archiv besuchen. Dem werden wir so besser gerecht“, so Helmentag weiter.
Wichtige Mahnung an die Nachwelt
Und das Projekt macht schnelle Fortschritte. Mit den Dokumenten der Konzentrationslager Auschwitz, Ravensbrück, Sachsenhausen, Bergen-Belsen, Stutthof, Lichtenburg und Sachsenburg ist das Team bereits fertig. Die tägliche Arbeit mit den Listen und Tausenden von Namen wird für das Team nie zur Routine: „Diese Originale sind so nüchtern und dokumentieren doch so viele schreckliche Schicksale. Das ist teilweise sehr schlimm. Aber das muss man ausblenden und weitermachen, weil wir ja erinnern und mahnen möchte, ja müssen: Schaut euch das an, was damals passiert ist.“ Neben Buchenwald bearbeitet das Team derzeit auch erhaltene Dokumente aus den Lagern Theresienstadt und Groß-Rosen. Nach und nach werden so die dunklen, unleserlichen Kopien aus dem Online-Archiv verschwinden.