Moderne Erinnerungskultur ─ lokal verankert, virtuell zugänglich
Jonastal_Ohrdruf. Quelle: Arolsen Archives
Zusammen mit Vereinen, Initiativen und Stiftungen setzen sich die Arolsen Archives für eine aktive Erinnerungskultur ein. Kooperationen wie die zum Konzentrationslager Ohrdruf zeigen, wie aus dieser Zusammenarbeit innovative Lern- und Erinnerungsprojekte entstehen können ‒ durch den Einsatz digitaler Medien und mit aktiver Beteiligung junger Menschen.
Suspekt – Landschaft des Verbrechens
Das digitale Lernmodul „Suspekt – Landschaft der Verbrechen“ macht Spuren der NS-Verbrechen sichtbar. In einer virtuellen Tour lernen Nutzer*innen einige der oft unbekannten Außenlager des KZ Buchenwald zwischen Nordrhein-Westfalen und Sachsen kennen. In 360°-Ansichten erkunden sie das Gelände des ehemaligen KZ Ohrdruf und setzen sich anhand von Fotos, Zitaten und Biografien mit der Geschichte auseinander. Das Minigame, das auf unserer Bildungsplattform arolsen school veröffentlicht ist, regt dazu an, die Spuren der Geschichte in der Gegenwart zu entdecken.
Holger Obbarius, Leiter der Bildungsabteilung der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, über den Einsatz des Lernmoduls Suspekt in der schulischen und außerschulischen Bildung.
Minigame „Suspekt -Landschaft der Verbrechen“. Quelle: Arolsen Archives.
KZ Ohrdruf: Listen im Online Archiv
Mit Unterstützung von Freiwilligen gelang es, die Geschichten der Menschen, die in das Lager Ohrdruf verschleppt wurden, sichtbar zu machen und „Erinnerungslücken“ zu schließen. Im Rahmen einer Erinnerungswoche im Frühsommer 2023 wurden Dokumente mit insgesamt 30.160 Namen von Häftlingen aus dem KZ Ohrdruf digitalisiert. Die Informationen auf den Listen wurden damit erstmals online durchsuchbar. Schulen, Vereine, Jugendtreffs und Unternehmen waren eingeladen, die Daten in die Crowdsourcing-Plattform #everynamecounts einzugeben.
Schulprojekt zur Gedenkstätte Ohrdruf. Quelle: Arolsen Archives
Johnny & Jones: verschleppt ins KZ Ohrdruf
Ein Beispiel für ein Haftschicksal aus dem KZ Ohrdruf ist die Geschichte des Jazz-Duos „Johnny & Jones“. Die jüdischen Musiker Max Kannewasser und Arnold van Wesel begeisterten Mitte der 1930er Jahre das Publikum in ihrer Heimatstadt Amsterdam. Als die deutsche Wehrmacht die Niederlande im Mai 1940 besetzte, durften die Musiker ab 1941 nicht mehr auftreten. 1943 inhaftierten die Nazis sie im Durchganglager Westerbork, wo sie Zwangsarbeit verrichten mussten. Nach elf Monaten wurden sie ins Ghetto Theresienstadt, später nach Auschwitz und ins KZ Ohrdruf deportiert. Beide überlebten die KZ-Haft nicht.
Foto des Duos „Johnny and Jones“, ca. 1938. Quelle: Collection Jewish Museum, Amsterdam
Das KZ Ohrdruf
Das Konzentrationslager Ohrdruf war das erste der über 130 Außenlager von Buchenwald, das 1945 von der US-Armee befreit wurde. Im US-amerikanischen Gedenken an die NS-Verbrechen ist Ohrdruf daher fest verankert, während das KZ in Deutschland selbst in der Region weitgehend unbekannt ist. Von November 1944 bis April 1945 durchliefen rund 20.000 Häftlinge aus verschiedenen europäischen Ländern das Lager. Sie mussten Zwangsarbeit im nahegelegenen Jonastal leisten und waren gezwungen, täglich bis zu zwölf Stunden lang Schwerstarbeit zu leisten, um Stollen in den Berg zu graben. Etwa 7.000 Häftlinge starben. Die Fotos aus dem befreiten Lager stehen in den USA heute symbolisch für die Gräueltaten der Nazis.
Blick auf einen Teil des KZ Ohrdruf. Quelle: United States Holocaust Memorial Museum, mit freundlicher Genehmigung von Nancy und Michael Krzyzanowski, 06.04.1945, Foto Nr. 85351.
Eine Blume für Benedek Sátori
Benedek Sátori aus Ungarn war einer von etwa 7.000 Zwangsarbeitern, die 1944/45 im Konzentrationslager Ohrdruf bei Gotha Zwangsarbeit leisten mussten. Sein Schicksal blieb über Jahrzehnte hinweg ungeklärt ‒ bis sein Enkel Péter Füzi einen Suchantrag bei den Arolsen Archives stellte.
Fotos aus dem Familienalbum von Péter Füzi. Quelle: Péter Füzi (privat)
Gedenken heute
Was macht eine lebendige Erinnerungskultur aus? Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf die historisch-politische Bildungsarbeit? Und wie lässt sich würdiges Gedenken so gestalten, dass sich auch junge Menschen angesprochen fühlen? Über diese Fragen sprechen wir mit Birthe Pater, Leitung Bildung der Arolsen Archives, Holger Obbarius, Leiter der Bildungsabteilung der Gedenkstätte Buchenwald, und Christoph Mauny von der Weimarer Mal- und Zeichenschule.
Die Kunst des Erinnerns. Quelle: Weimarer Mal- und Zeichenschule
Die Kooperation
Im Mai 2022 startete die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha das Erinnerungsprojekt „Deutsche Erinnerungslücke KZ Ohrdruf“, an dem die Arolsen Archives sowie die Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora beteiligt sind. Im Rahmen des Projekts entsteht ein virtueller Erinnerungsort für die Opfer des südlich von Gotha gelegenen Lagers. Dazu zählen das digitale Bildungsmodul Suspekt, Workshops und Kampagnen.
Initiator des Schulprojekts ist Christoph Mauny, Bildungsreferent an der Weimarer Mal- und Zeichenschule. Im Januar 2024 wurde er für dieses und andere Erinnerungsprojekte mit dem Obermayer Award ausgezeichnet. Er arbeitet weiterhin mit den Arolsen Archives zusammen an der Entwicklung und Ausrichtung von Workshops in Thüringen.
Das Modul „Suspekt – Landschaft der Verbrechen“ wird finanziert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen des Projekts „Open Friedenstein!“ der Friedenstein Stiftung Gotha.