Durch Kooperationen mit Archiven, Gedenkstätten und anderen Institutionen haben in den letzten Jahren Millionen digitaler Dokumente ihren Weg in unser Online-Archiv gefunden: Deportationslisten, Bilder von KZ-Häftlingen, Todesurkunden oder auch Briefe von Zwangsarbeiter*innen. Sie gehören zu den tausenden Digitalisaten, die 2022 unter anderem durch eine Kooperation mit dem Staatlichen Archiv der Region Kyjiw bei uns aufgenommen werden konnten. Unsere Archiv-Mitarbeiterin Hanna Lehun, selbst Ukrainerin, hat sie erschlossen.
„Sei gut zu mir, kleine Schwester, ich habe dich nicht vergessen und ich werde dich nie vergessen. Du ärgerst dich über mich, dass ich keine Postkarten schicke. Ich habe bereits drei geschrieben, aber ich weiß nicht, warum du sie nicht bekommst“, schrieb Maria Borodinja im April 1943 an ihre Schwester Anna. Ihre Postkarte ist eines von tausenden Dokumenten einer 2020 veröffentlichten Sammlung im Online-Archiv der Arolsen Archives: Briefe sowjetischer Bürger*innen, die zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt wurden und von dort an ihre Familien zuhause schreiben wollten.
Postkarten und andere Dokumente




Unsere Archiv-Mitarbeiterin Hanna Lehun hat in der Briefe-Sammlung auch einige Oster-Postkarten gefunden. Höchstwahrscheinlich haben die Angehörigen diese Nachrichten aber nie bekommen. Sie lagern heute in staatlichen ukrainischen Archiven, die nun versuchen, nicht zugestellte Briefe an die Nachkommen der sogenannten Ostarbeiter*innen zurückzugeben. Die Arolsen Archives haben die Dokumente als Kopien aufgenommen, um mehr Informationen über Zwangsarbeiter*innen zur Verfügung zu stellen.
Warum gibt es diese Sammlungen von Briefen und Postkarten der ukrainischen Zwangsarbeiter*innen?
Hanna Lehun
Sie sind Teil einer langen, tragischen Verfolgungsgeschichte von Menschen aus der Sowjetunion, die während des Zweiten Weltkriegs im Ausland gewesen waren: Alle Rückkehrer wurden in ihrer Heimat systematisch verfolgt – sogar diejenigen, die von den Nazis als Zwangsarbeiter*innen nach Deutschland verschleppt worden waren. Die sowjetische Regierung verdächtigte sie als Verräter, legte sogenannte Filtrationsakten über sie an und sammelte darin alle Dokumente über ihre Zeit im Ausland. Irgendwie sind auch die Briefe in dieses System gelangt – wie genau, ist unklar. Die Zwangsarbeiter*innen hatten sie jedenfalls aus Deutschland an ihre Familien in der Heimat geschickt, um in Kontakt zu bleiben.
Sind die Briefe jemals bei den Familien angekommen? Wo liegen sie heute?
Nein, die allermeisten wurden sicherlich schon im Postversand abgefangen. Man kann diese Dokumente heute in vielen Archiven auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion finden. Ich habe vor allem mit der Sammlung aus dem Staatsarchiv Winnyzja gearbeitet, auch vor Ort. Von einem Teil der Briefe habe ich bereits Scans angefertigt. Diese digitalen Dokumente kann man sich seit 2022 im Online-Archiv der Arolsen Archives ansehen. Eine meiner Kolleginnen hat außerdem eine Sammlung vom Staatlichen Archiv Kyjiw recherchiert, die auch schon im Online-Archiv zur Verfügung steht.
Um welche Archivbestände kümmerst du dich hauptsächlich bei den Arolsen Archives?
Ich arbeite mit der Kriegszeitkartei. Das sind Millionen Dokumente, die nach dem Krieg über die ausländischen Zwangsarbeiter*innen in Deutschland angelegt wurden. Viele der Menschen kamen aus der ehemaligen Sowjetunion – die sogenannten „Ostarbeiter“. Im Team „Archivische Erschließung“ ordnen und verzeichnen wir das Archivgut und sammeln weitere Dokumente über die NS-Verfolgten. Dazu schließen wir auch Kooperationen mit anderen Archiven, die interessante Bestände haben.

