Archiv am Puls der Zeit – digital und real präsent

2018 sind wir ein gutes Stück vorangekommen – und zwar auf breiter Linie mit unseren Zielen. Als erstes denke ich dabei an unsere Nutzer*innen und Antragsteller*innen, denn sie profitieren sehr direkt von dem verbesserten Zugang und Service. Zum anderen konnten wir mehr Menschen auf uns aufmerksam machen, etwa über die Kampagne und Ausstellung #StolenMemory, die sehr erfolgreich ist. Eine Reihe großer Projekte stehen 2019 an, entsprechend war 2018 ein Jahr der Planung und Vorbereitungen.

Floriane Azoulay, Direktorin der Arolsen Archives

An erster Stelle ist die Onlinestellung der Dokumente aus Konzentrationslagern und Ghettos in unserem neuen Portal zu nennen, das wir in Partnerschaft mit Yad Vashem umsetzen. Wir sprechen hier von 10 Millionen Dokumenten, die weltweit der Erinnerung und Forschung dienen werden. „Digital“ stand überhaupt stark in unserem Fokus. Die ganze Abteilung Tracing, fast 100 Mitarbeiter*innen, hat ihre Prozesse umgestellt und sämtliche analogen Arbeitsschritte abgeschafft. Das heißt, vom Posteingang über die Ablage bis zum Postausgang laufen Anfragen digital und systematisch ab. Das Fazit nach nur einem halben Jahr: Die Anfragenden bekommen schneller Antwort, die Mitarbeiter*innen mehr Klarheit durch einfache und unbürokratische Arbeitsweisen.
Besonders hervorheben möchte ich die Veröffentlichung unseres e-Guides – ein Online-Tool zur Erklärung von KZ-Dokumenten. Nicht nur in Fachkreisen, auch in Medien wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) haben wir dafür viel Anerkennung erhalten. Es ist gelungen, ein fundiertes, aber zugleich einfach verständliches Standardwerk zu schaffen: gut bebildert, interaktiv und interessant.

Natürlich hatten wir auch den Erhalt unseres einzigartigen Denkmals aus Papier im Blick. Fördergelder und Partner haben uns in dieser absolut grundlegenden Aufgabe unterstützt. Dringende Projekte wie die Entsäuerung von Versorgungsakten der Displaced Persons konnten erfolgreich abgeschlossen werden. Das ist umso wichtiger, als gerade im digitalen Zeitalter das Archiv unser Herzstück bleibt, das mit seiner Authentizität gegen Fehlinformationen und Ignoranz ansteht.

Völligen Stillstand mussten wir leider beim Archivbau hinnehmen. Äußere Umstände haben uns auf das Jahr 2016 zurückgeworfen, sprich: Der politische Wille für den Neubau ist da, aber alle Pläne liegen auf Eis. Das ist besonders beunruhigend, denn ein Weltdokumentenerbe gehört nicht langfristig in ein Zwischenlager. Andererseits sehe ich in dem Baustopp Chancen. Dachte man ursprünglich an einen reinen Zweckbau, wird immer klarer, dass der Bau unserer aktuellen und künftigen gesellschaftlichen Rolle gerecht werden muss. Wir können nicht nur virtuell als renommiertes internationales Zentrum über NS-Verfolgung auftreten. Ein Ort der Erinnerung und Wahrheit wird für Europa umso bedeutender, je mehr Zulauf Populisten haben, je weiter weg die Geschichte rückt. Ein vereintes Europa ist nicht selbstverständlich. Wir müssen es aktiv erhalten. Unsere eigne Geschichte ist eng mit dem Aufbau und dem friedlichen Miteinander in Europa verknüpft. Diesen Zusammenhang unterstrich unsere Konferenz im vergangenen Oktober über die Geschichte der Suche und Dokumentation von Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung: 120 Expert*innen aus 12 Ländern kamen nach Bad Arolsen. Die Konferenz war ein Meilenstein in der Vorbereitung unserer ersten Dauerausstellung, die 2019 eröffnet wird, allerdings ebenfalls an einem provisorischen Ort in einem ehemaligen Kaufhaus in Bad Arolsen.

Zum Ende möchte ich auf einen Neuanfang zu sprechen kommen: 2018 war das letzte Jahr, an dem die Institution komplett als ITS auftrat. Bei Erscheinen des Jahresberichts sind wir die Arolsen Archives. Denn längst geht der ehemalige Suchdienst neue Aufgaben an, die eine Welt im Wandel stellt. Mit dem in immer weiteren Teilen online stehende Welt-Dokumentenerbe und vielen neuen Projekten inspirieren wir den öffentlichen Diskurs und aktivieren neue Zielgruppen. Daher der neue Name – einprägsam und konkret und mit einem modernen Auftritt. Ich bin überzeugt, dass wir uns damit bestens positionieren und für Toleranz und demokratische Werte eintreten können. Und ich freue mich darauf.

Nach 70 Jahren jetzt im Blick der Forschung

Nach 70 Jahren jetzt im Blick der Forschung

Der Blick auf die eigene Geschichte im Kontext wissenschaftlicher Forschung: Ein Highlight war die internationale Konferenz zur Suche und Schicksalsklärung von NS-Verfolgten.

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Weniger Papier – mehr Service

Weniger Papier – mehr Service

Seit 2018 werden alle Anfragen komplett digital bearbeitet. Das Ergebnis: die Antragsteller bekommen erheblich schneller Antwort, die Wartezeiten sinken.

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Neue Aufgaben der Arolsen Archives

»2018 war das letzte Jahr, an dem die Institution komplett als ITS auftrat. Bei Erscheinen des Jahresberichts sind wir die Arolsen Archives. Denn längst geht der ehemalige Suchdienst neue Aufgaben an, die eine Welt im Wandel stellt.«

Floriane Azoulay, Direktorin der Arolsen Archives

Kooperationen, von denen alle profitieren

Kooperationen, von denen alle profitieren

Die Biografien der NS-Verfolgten interessieren Menschen weltweit. Deshalb werden wir aktiv und suchen Kooperationen: Für eine bessere Nutzung und eine größere Bekanntheit des Archivs.

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Damit die Dokumente sprechen: der e-Guide

Damit die Dokumente sprechen: der e-Guide

KZ-Dokumente bergen Informationen über die Geschichten von NS-Opfern. Wer Häftlings-Personal-, Revier- oder Postkontroll-Karten verstehen will, braucht jedoch Hintergrundwissen.

Damit die Dokumente sprechen: der e-Guide

Ein farbiges Symbol auf einer Häftlingskarte verrät, aus welchem angeblichen Grund ein Mensch ins Konzentrationslager kam. Ein einzelner Buchstabe gibt an, ob er dort Häftlings- oder Zivilkleidung trug. Um solches Wissen und die Hintergründe dazu für Forschung, Angehörige und Interessierte komfortabel bereitzustellen, haben die Arolsen Archives ihren interaktiven e-Guide veröffentlicht. Denn sonst lassen sich wichtige Details Jahrzehnte nach Entstehung der Dokumente nicht mehr entschlüsseln. Nach fundierter und ausgiebiger Vorbereitung ging im Juni 2018 ein absolut grundlegendes Werkzeug für alle Nutzer*innen online: der e-Guide der Arolsen Archives. Einfach lesbar, mit zahlreichen Fotos und interaktiven Elementen versehen erklärt er die häufigsten Dokumententypen über KZ-Insassen.
Nicht nur Abkürzungen oder bestimmten Zeichen auf einem Dokument werden erläutert, sondern auch die Frage beantwortet, wo und wozu es entstand. Auf Beispiel-Abbildungen lassen sich verschiedene Felder mit dem Cursor ansteuern und so Fenster mit den passenden Hinweisen öffnen. Anhand praktischer Beispiele aus dem Archiv erhellt das Tool zudem den historischen Kontext. Die zunächst abstrakt wirkenden Dokumente der NS-Bürokratie werden so zu Schriftstücken, die berührende Informationen über Lebens- und Leidensweg der Opfer preisgeben. Oft sind es die letzten Spuren eines Menschen vor seiner Ermordung durch die Nationalsozialisten.

Der e-Guide steht auf Deutsch und Englisch zur Verfügung und basiert auf neuesten Forschungsergebnissen. Nach Fertigstellung des ersten Teils, starteten direkt die Vorbereitungen für die Fortsetzung. Teil zwei und drei widmen sich den Dokumenten über ost- und westeuropäische Zwangsarbeiter*innen des Nazi-Regimes sowie Displaced Persons. Geplant ist, dass rund 100 Dokumententypen im e-Guide online erklärt werden.

Wenn Maschinen mitdenken: Erschließung und Indizierung auf neuen Wegen

Seit 2018 nutzen und erproben wir zusammen mit der IT-Abteilung und externen Software-Anbietern eine Reihe neuer Verfahren zur Erschließung und Indizierung unserer Bestände. Es ist wichtig, dass die Arolsen Archives sich den aktuellen und zukünftigen technischen Entwicklungen öffnen.

Giora Zwilling, Leiter des Referats Archivische Erschließung

„Es gibt vor allem drei vielversprechende Neuerungen technischer Art, zudem haben wir 2018 auf konventionelle Weise einen besonderen Bestand erschlossen und online gestellt.

  • Lesende Computer: Texterkennung
    Der Scan eines Dokuments allein bringt wenig. Man muss unter anderem Namen oder Ortsangaben auslesen, damit Nutzer*innen ihn später im Online-Archiv finden. Um das zu beschleunigen, testen die Arolsen Archives verschiedene Programme zur Texterkennung. Dieses Jahr haben wir per Software zum Beispiel 20.000 Karteikarten zu Personen erfasst, die in Italien interniert waren. Wir haben anschließend die Ergebnisse überprüft und korrigiert. Der Teilbestand ist nun komplett nach Namen recherchierbar und geht 2019 online.
  • Orte einheitlich und graphisch darstellbar
    Ein großes, gut fortschreitendes Projekt ist die Standardisierung und Verbesserung der Ortsangaben in den Metadaten. 2018 haben die Arolsen Archives ein Tool aufgebaut, in das nun die Daten eingegeben werden. Wir führen verschiedene Schreibweisen der Orte zusammen und verknüpfen sie mit den Geodaten. So können wir in Zukunft die Recherche verbessern, etwa über Karten: Graborte, Einzugsgebiete der KZ oder Lebenswege bis hin zu Ausreisen der DPs werden graphisch darstellbar. Solche Präsentationsformen sind für Archive wie unseres zukunftsweisend.
  • Dokumententypen automatisch erkennen
    Zu einer Person sind oft verschiedene Dokumententypen zusammengefasst, was die Beschreibung der Bestände aufwändig macht. Wir haben nun mit der automatischen Formularerkennung begonnen. Dafür müssen wir von jedem Dokumententyp zunächst eine größere Menge einspeisen, sodass die Maschine die Merkmale 'lernt'. Anschließend kann sie Bestände selbstständig danach durchsuchen. Bei den Versorgungsakten zu DPs konnte man so vor Online-Stellung die Krankenakten herausfiltern, die nicht zu veröffentlichen sind. Wir können über dieses 'Clustering' aber auch einfach die häufigsten Dokumentenarten mit dem passenden Eintrag im e-Guide verknüpfen – ein praktischer Service für unsere Nutzer*innen.
  • Ein besonderer Bestand: die Dachau-Fotokartei
    Neben der Erprobung neuer Software ging 2018 auch die konventionelle Erschließung und Indizierung weiter, etwa der TD-Akten, also der Korrespondenzakten zu gesuchten Personen. Zudem wurde ein ungewöhnlicher Bestand im Haus erschlossen: eine Kartei mit rund 2.000 Fotos von Überlebenden des KZ Dachau. Diese sehr seltenen Fotos entstanden früh nach der Befreiung, teils noch in den Lagern. Die ehemaligen Häftlinge mussten sie einreichen, um Unterstützung von Hilfsorganisationen zu beantragen. Wir haben alle Karten digitalisiert, beschrieben und indiziert, sodass sie veröffentlicht werden können.“

Zeigen und zurückgeben: #StolenMemory

Zeigen und zurückgeben: #StolenMemory

Persönliche Gegenstände von 140 ehemaligen KZ-Häftlingen konnten die Arolsen Archives  den Besitzerfamilien 2018 aushändigen. Und die Ausstellung zur Kampagne hatte Premiere.

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Ein Welterbe bewahren

Ein Welterbe bewahren

Die Erhaltung der Dokumente ist keine passive Aufgabe, sondern beschäftigt uns intensiv: reparieren und gegen den Verfall sichern, den Zustand erfassen, sich für Notfälle wappnen.

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