Wer waren die Opfer?

Was über die Todesopfer aus der „zentralen Hinrichtungsstätte“ der Nazis in München-Stadelheim bekannt ist

Gebäude vor dem Zwangsarbeiterinnen in einer Reihe stehen. Daneben ein Aufseher
Dieses Propagandabild der Nationalsozialisten zeigt Zwangsarbeiterinnen vor München-Stadelheim. © Bayerisches Hauptstaatsarchiv

Das Gefängnis Stadelheim war im Nationalsozialismus eine „zentrale Hinrichtungsstätte“. In der NS-Zeit wurden dort 1.188 Menschen hingerichtet, 97 Prozent davon während des Zweiten Weltkriegs. Die meisten der Hingerichteten stammten aus Deutschland, mit rund 16 Prozent bildeten aber auch Polinnen und Polen eine große Gruppe. Weitere Todesopfer hatten tschechische, griechische, ungarische, jugoslawische oder italienische Wurzeln. Insgesamt starben Menschen aus 18 Ländern in Stadelheim, die allermeisten auf dem Schafott. In den Kriegsjahren bildeten Ausländer knapp die Hälfte aller Hingerichteten, 1942 sogar die Mehrheit.

Die Todesstrafe im Nationalsozialismus

Zwar stieg die Zahl der Todesstrafen seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 leicht an, dennoch waren Todesurteile bis 1939 eine Seltenheit. In den Jahren 1933 und 1936 wurde sogar kein einziges Todesurteil in München vollstreckt.

Auf den ersten Blick überrascht es, dass die Zahl der vollstreckten Todesurteile in den frühen 1920er-Jahren weitaus höher lag als zwischen 1933 und 1937. Ein Grund dafür ist, dass die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg durch Gewalt geprägt waren und es deutlich mehr Tötungsdelikte gab. Gegen Ende der 1920er-Jahre wuchs hingegen die Ablehnung der Todesstrafe in der Bevölkerung. Daher wurden zwischen 1929 und 1931 im Deutschen Reich so gut wie keine Todesurteile vollstreckt.

Auch für den Kampf gegen die gewöhnliche Kriminalität erhielten die Richter ein ganzes Arsenal neuer Waffen. Eine der wichtigsten war die ‚Verordnung gegen Volksschädlinge‘ vom 5. September 1939, die sich besonders gegen Plünderer und andere Kriminelle richtete, die den Kriegszustand (wie die Verdunkelung bei Fliegergefahr) angeblich für ihre Straftaten ausgenutzt hatten. Aufgrund der schwammigen Definitionen – die Todesstrafe war unter anderem dann erlaubt, wenn ‚dies das gesunde Volksempfinden wegen der besonderen Verwerflichkeit der Straftat erfordert‘, wurde den Richtern ein beträchtlicher Spielraum eröffnet, Eigentumstäter und andere zu äußerst harten Freiheitsstrafen oder zum Tod zu verurteilen. […].

Nikolaus Wachsmann, in: Gefangen unter Hitler – Justizterror und Strafvollzug im NS-Staat, München 2006.

Verschärfung durch Sondergerichte

Mit Kriegsbeginn 1939 änderte sich die Situation schlagartig. Bislang hatten meist ordentliche Gerichte Todesurteile im Fall von Kapitalverbrechen gefällt. Nun entstanden neue Sondergerichte, die Angeklagte für eine große Bandbreite von realen und angeblichen Delikten zum Tode verurteilten.  Immer weitere Strafrechtsverschärfungen ebneten den Weg für eine rassistische Gesetzgebung, die sich weniger für die Beweislage zu interessieren schien, sondern verstärkt prüfte, inwiefern ein Angeklagter einem bestimmten „Typus“ entsprach und ob dieser in die nationalsozialistische Volksgemeinschaft passte. 

Stadelheim war der zentrale Hinrichtungsort für Süddeutschland, der ganz Bayern und seit 1938 auch den Westen Österreichs und Tschechiens abdeckte. Die Sondergerichte, deren Staatsanwälte zum Tode Verurteilte zur Hinrichtung nach Stadelheim schickten, hatten ihren Sitz in München, Nürnberg, Bamberg, Würzburg, Augsburg, Eger (Cheb), Innsbruck, Salzburg und Feldkirch. 60 Prozent aller in Stadelheim vollzogenen Hinrichtungen basierten auf Todesurteilen dieser Sondergerichte und wurden aufgrund vermeintlich krimineller Delikte gefällt. 

Mehrere Din A4 Briefumschläge in weiß und braun
© Elisabeth Miletic, Bayerisches Hauptstaatsarchiv
Mehrere Briefe in brauner Farbe übereinander verteilt
© Elisabeth Miletic, Bayerisches Hauptstaatsarchiv

Besonders aggressiv trat das Sondergericht Nürnberg auf, gefolgt vom Sondergericht München. Viele dieser Urteile betrafen Menschen, die sich wegen marginaler Vergehen verantworten mussten. Etwa weil sie nach einem Luftangriff verstreute Lebensmittel aufgesammelt oder ein paar alte Decken aus einem Luftschutzbunker mitgenommen hatten.

Polnische Zwangsarbeiter waren besonders gefährdet, ins Visier der Sondergerichte zu geraten: Ein Streit mit dem Arbeitgeber, eine Liebschaft mit einer Deutschen oder unangepasstes Verhalten reichten den Richtern oft aus, um unabhängig von der Beweislage einen Polen oder eine Polin zum Tode zu verurteilen.

Todesopfer des Volksgerichtshofs

Das Gericht, das die meisten Todesurteile in Stadelheim vollstrecken ließ, war der Volksgerichtshof: Er ließ 347 Menschen exekutieren. Das entspricht knapp 30 Prozent aller Hinrichtungen. Der Volksgerichtshof verhandelte häufig außerhalb Berlins, zum Tode Verurteilte wurden dann in die nächstgelegene Hinrichtungsstätte gebracht.

Eine Opfergruppe sticht besonders heraus: Nach dem Attentat auf Reinhard Heydrich in Prag im Mai 1942 verurteilte das zu diesem Zweck stets in Nürnberg tagende Gericht zahlreiche tschechische Widerstandskämpfer zum Tode. Die 198 in Stadelheim hingerichteten Tschechen bilden die größte Gruppe von Nichtdeutschen, die dort den Tod fand. Aber auch deutsche Widerstandskämpfer wie die sieben Angehörigen der Weißen Rose, die in München und in Donauwörth zum Tode verurteilt wurden, fanden in Stadelheim den Tod.

Eine weitere Gruppe schließlich bilden 57 französische und belgische Gefangene, die seit 1943 aufgrund von Hitlers „Nacht- und Nebel“-Erlass in Stadelheim getötet wurden. Mit diesem Erlass sollte der Widerstand gegen die Deutschen in Westeuropa gebrochen und Terror gesät werden. Von den Gefangenen verlor sich daher nach der Festnahme jede Spur ─ ihre Angehörigen erfuhren nichts über ihr Schicksal.