„Ausgebürgert“: Die unbequemen Gegner*innen des NS-Regimes
Bei der Crowdsourcing-Initiative #everynamecounts digitalisieren Tausende Freiwillige derzeit eine außergewöhnliche Sammlung: In der „Ausbürgerungskartei“ dokumentierten die Nationalsozialisten, welchen Menschen sie ab 1933 die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen. In der Regel waren es ins Exil geflüchtete Jüdinnen und Juden oder bekannte Kritiker*innen des Regimes, wie die Schriftsteller-Familie Mann. Fast 40.000 Menschen wurden so zu Staatenlosen.
Die „Ausbürgerungskartei“ stellen die Arolsen Archives ab sofort gemeinsam mit dem Deutschen Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek zur Digitalisierung bei #everynamecounts bereit. Mithilfe der Freiwilligen auf der Crowdsourcing-Plattform sind die Schicksale der ausgebürgerten Deutschen demnächst im Online-Archiv über die NS-Opfer recherchierbar. So wollen die Institutionen nicht nur an die Namen und Geschichten dieser Menschen erinnern, sondern auch Forschungsprojekte zu den NS-Ausbürgerungen ermöglichen.
Die Geschichte der Ausbürgerungskartei
Ab Juli 1933 entzogen die Nationalsozialisten zehntausenden Menschen auf Grundlage des sogenannten Ausbürgerungsgesetzes die deutsche Staatsbürgerschaft. Es trat wenige Monate nach der Machtübergabe an die NSDAP in Kraft und richtete sich vor allem gegen jüdische Staatsbürger*innen und politische Gegner*innen. Polizei und SS, Reichsinnenministerium und Auswärtiges Amt stimmten alle Ausbürgerungen miteinander ab und veröffentlichten sie anschließend in Listen im „Deutschen Reichsanzeiger“, der amtlichen Zeitung des Regimes.
Wie gelangten die Dokumente ins Deutsche Exilarchiv 1933-1945?
Ab 1938 sammelten die Nationalsozialisten die Daten von Ausgebürgerten in einer Kartei, die Behörden als Nachschlagewerk dienen sollte. Auch die damalige Deutsche Bücherei (heute Deutsche Nationalbibliothek) erhielt ein Pflichtexemplar und aktualisierte es durchgängig bis 1944. Die Kartei nutzte man dort auch als Hilfsmittel zum Aufbau der sogenannten „Judenkarthothek“. Darin sollten sämtliche deutsch-jüdische Autor*innen erfasst werden: Ziel war es, ihre Werke aus dem deutschen Literatur-Kanon auszuschließen. Heute gehört die Ausbürgerungskartei zur Sammlung des Exilarchivs.
Rechtsmittel und immense Geldquelle
Das Gesetz zur Aberkennung der Staatsangehörigkeit war für die NS-Regierung nicht nur ein praktisches juristisches Instrument gegen missliebige Personen, sondern auch eine stetige Einnahmequelle: Der Besitz aller ausgebürgerten Menschen ging per Gesetz in die „Reichskasse“ über. Indem sie die Ausbürgerungskriterien ständig verschärften, beschlagnahmten die Nationalsozialisten riesige Vermögen. Ab Ende 1941 verloren beispielsweise alle außerhalb der Staatsgrenze lebenden Personen automatisch ihre Staatsangehörigkeit – also auch alle Menschen, die man in die Vernichtungslager im Osten deportiert hatte.
Die Irrwege der Staatenlosen
im Exil
Die meisten der Ausgebürgerten hatten Deutschland schon früh verlassen – so wie der jüdische Bankier und Kunstmäzen Hugo Simon und seine Frau, die 1933 nach Paris gingen. Sie waren nicht nur wegen ihrer Herkunft, sondern auch wegen ihres politischen Engagements gefährdet. In Frankreich baute sich Hugo Simon eine neue Existenz als Finanzmakler auf und unterstützte den deutschen Exil-Widerstand. 1937 entzog man ihm und seiner Frau die deutsche Staatsbürgerschaft. Als Paris im Juni 1940 unter deutsche Besatzung fiel, floh das Ehepaar nach Marseille. Die Nationalsozialisten beschlagnahmten ihre Wohnung und brachten die meisten Wertgegenstände und einen Teil der Kunstsammlung zurück nach Deutschland.
Albert Einstein bürgerte man lieber selbst aus
Unter den Ausgebürgerten finden sich die Namen vieler berühmter Persönlichkeiten. Schließlich gab es etliche erfolgreiche Kulturschaffende oder Wissenschaftler*innen, die das Regime kritisierten und durch ihre Bekanntheit eine große Zahl an Menschen erreichten. Der Nobelpreisträger Albert Einstein etwa bezog schon früh Stellung gegen die Nationalsozialisten. Kurz nach der Machtübergabe – er befand sich zu der Zeit im Rahmen eines Lehrauftrags in den USA – beantragte Einstein selbst seine Ausbürgerung. Diesen Antrag lehnten die deutschen Behörden aber ab. Etwa ein Jahr später bürgerten sie ihn selbst offiziell und öffentlichkeitswirksam aus.
» Wenn ich mit meiner Relativitätstheorie recht behalte, werden die Deutschen sagen, ich sei Deutscher, und die Franzosen, ich sei Weltbürger. Erweist sich meine Theorie als falsch, werden die Franzosen sagen, ich sei Deutscher und sie Deutschen, ich sei Jude. «
Albert Einstein, aus der Sammlung "Jüdische Witze" von Salcia Landmann