Erinnern am historischen Ort: 80 Jahre nach der Befreiung des KZ Ohrdruf

Genau 80 Jahre nach der Befreiung des Buchenwald-Außenlagers Ohrdruf haben die Arolsen Archives gemeinsam mit der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora sowie der Weimarer Mal- und Zeichenschule vor Ort der NS-Opfer gedacht. Die Gedenkveranstaltung war den Menschen gewidmet, die an diesem Ort durch die NS-Verfolgung ihr Leben verloren haben, entmenschlicht und entrechtet wurden. Mit dabei waren über 150 engagierte Schüler*innen und Vertreter*innen regionaler Erinnerungsprojekte.

 

Am 4. April 1945 befreiten Einheiten der 4. US-Panzerdivision das Außenlager Ohrdruf „SIII“ des Konzentrationslagers Buchenwald. Etwa 20.000 Menschen wurden in dieses Lager verschleppt und mussten unter katastrophalen Bedingungen Zwangsarbeit leisten. Mehr als 7.000 überlebten diese Torturen nicht.

 

Einsatz für historische Fakten und Demokratie

Eingeladen zur Gedenkveranstaltung waren Angehörige der ehemaligen Häftlinge und der US-Soldaten, die 1945 das befreite Lager besuchten sowie Engagierte, die sich um die Erinnerung an die Verbrechen im KZ Ohrdruf bemühen. Sie fand auf dem ehemaligen Lagergelände statt, heute ein Standortübungsplatz der Bundeswehr.

 

Gedenkveranstaltung auf dem Gelände des ehemaligen KZ Ohrdruf

 

Die Direktorin der Arolsen Archives, Floriane Azoulay, würdigte in ihrer Eröffnungsrede alle Teilnehmenden, die dafür „sorgen, dass die Stimmen der Opfer gehört werden, in einer Zeit, in der das Erinnern immer mehr in Frage gestellt wird.“ Sie ging auf den besorgniserregenden Anstieg an Antisemitismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in einer Gesellschaft ein, in der das Vertrauen in Fakten und Wissenschaft zunehmend schwinde. Der Gedenkort Ohrdruf sei deshalb weit über die Grenzen des Landkreises hinaus von Bedeutung.

Prof. Dr. Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, berichtete über die menschenverachtenden Zustände, die die US-Soldaten 1945 auf dem Gelände des KZ Ohrdruf vorfanden. Vor diesem Hintergrund mahnte er zur Verantwortung in Anbetracht der politischen Situation in der Region heute. Die Wahlergebnisse der AfD seien eine Schande, formulierte er klar.

 

Schüler*innen aus ganz Deutschland nahmen am Gedenken an die Opfer der Nationalsozialisten teil.

 

Niemand kann Ohrdruf leugnen

US-Generalkonsul John R. Crosby und Prof. Dr. Rebecca Boehling vom United States Holocaust Memorial Museum gingen auf die Bedeutung der berühmten Foto- und Filmaufnahmen aus Ohrdruf ein. Der spätere US-Präsident Dwight D. Eisenhower hatte sie in Auftrag gegeben, um der Welt die Gräueltaten der Nationalsozialisten vor Augen zu führen und sicherzustellen, dass niemand sie je leugnen kann. Deshalb, so Rebecca Boehling, beginne die Dauerausstellung im United States Holocaust Memorial Museum heute mit genau diesen Zeugnissen.

 

Der spätere US-Präsident Dwight D. Eisenhower kurz nach der Befreiung des KZ Ohrdruf, Foto: United States Holocaust Memorial Museum, courtesy of Harold Royall

Der spätere US-Präsident Dwight D. Eisenhower kurz nach der Befreiung des KZ Ohrdruf, Foto: United States Holocaust Memorial Museum, courtesy of Harold Royall

 

Vergissmeinnicht wachsen für die Opfer

Die Veranstaltung endete mit der Niederlegung von Kränzen und kleinen Tonskulpturen in Generationentandems aus Jugendlichen und Angehörigen der Opfer. Schüler*innen hatten die Skulpturen zuvor nach Fotos ehemaliger Ohrdruf-Häftlinge geformt und Vergissmeinnicht-Samen darin eingearbeitet. Der ungebrannte Ton wird mit der Witterung verfallen, die Samen keimen und das Gedenkzeichen damit in die Landschaft übergehen.

 

Von Schüler*innen gestaltete Stelen in Erinnerung an die Opfer des KZ Ohrdruf.
Das Generationentandem verbindet jeweils eine*n Schüler*in mit einem Angehörigen.

Jugendliche tragen die Verantwortung für zukünftiges Gedenken

Im Rahmen des 80. Jahrestages der Befreiung des KZ Ohrdruf engagierten sich zahlreiche Schüler*innen in Erinnerungsprojekten. Am Ort des ehemaligen Häftlingslagers stellteeine Projektgruppe des Ohrdrufer Gymnasiums Gleichense Gedenkstelen auf. Nach eigenen Recherchen zur Lagergeschichte vor ihrer Haustür erarbeiteten sie Betonabgüsse nach Gesichtern ehemaliger Häftlinge, die an die Individualität der Menschen erinnern und einen emotionalen Zugang schaffen sollen.

 

Gedenken neu denken

Im Anschluss an die Gedenkveranstaltung fanden im Schloss Ehrenstein verschiedene Workshops statt. Die Schüler*innen konnten sich mit den Angehörigen ehemaliger Häftlinge Pétr Füzi und Bart FM Droog austauschen, mit dem Filmemacher und Angehörigen eines US-Soldaten Matthew Nash sprechen und mit „Suspekt: Landschaft der Verbrechen“ das Gelände des ehemaligen KZ Ohrdruf digital erkunden. Außerdem wurde die Ausstellung „Die Kunst des Erinnerns“ von Dr. Christoph Mauny, Weimarer Mal- und Zeichenschule, gezeigt. Die „neue bauhauskapelle weimar“ spielte Lieder des niederländischen Jazz-Duos „Johnny & Jones“, deren Musiker von den Nationalsozialisten nach Ohrdruf verschleppt und dort ermordet worden waren.

 

Über die Fototechnik der Cyanotopie beschäftigten sich die Schüler*innen mit den Schicksalen der KZ-Häftlinge.

 

Schüler*innen halten die Erinnerung wach

Der Gedenktag endete mit der Podiumsdiskussion „Gedenken im Wandel – Wie erinnern wir heute?“, die von Birthe Pater, Arolsen Archives, und Holger Obbarius, Gedenkstätte Buchenwald, moderiert wurde. Auf dem Podium schilderten Schüler*innen der Edith-Stein-Schule (Erfurt), des Gymnasiums Gleichense (Ohrdruf), des Gustav-Freytag-Gymnasiums (Gotha), der Emil-Petri-Schule (Arnstadt) und des Grimmelshausen Gymnasiums (Gelnhausen), wie sie sich in regionalen Erinnerungsprojekten gegen das Vergessen einsetzen.

 

»Mich beeindruckt, wie man durch Erinnern eine Person am Leben halten kann.«

Felix, engagierter Schüler

 

Der Schüler Felix sagte: „Mich überrascht, wie nah man einer Person über Recherche kommen kann. Man erzählt nicht nur die Geschichte hinter den Dokumenten, die die Arolsen Archives verwahren, sondern auch, wie man das Schicksal selbst sieht, also auch von sich selbst.“ Die Schülerin Chantal ergänzte: „Mein Engagement hat mir gezeigt, dass man etwas bewirken kann. Nicht nur obwohl ich Schülerin bin, sondern auch vor allem, weil ich Schülerin bin.“

 

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