Der Warschauer Aufstand kostete Hunderttausenden Polinnen und Polen das Leben. Viele der Aufständischen, aber auch Zivilist*innen wurden verschleppt, mussten Zwangsarbeit leisten und starben in deutschen Konzentrationslagern. Anlässlich des 80. Jahrestags sind die Arolsen Archives auf der Suche nach 100 bisher unbekannten Geschichten von Menschen, die während des Aufstands deportiert wurden.

Vor 80 Jahren, am 1. August 1944, brach der Warschauer Aufstand aus: 63 Tage lang kämpfte die Polnische Heimatarmee gegen die deutsche Besatzung. Die Aufständischen wollten Warschau vor dem Einmarsch der Roten Armee aus eigener Kraft befreien. Vergeblich, am 2. Oktober 1944 mussten sie angesichts der enormen Übermacht der deutschen Truppen kapitulieren.

 

Straßenzug während des Warschauer Aufstands im Kampfgebiet. Foto: Nationales Digitales Archiv (NAC)
Ein verwundeter Soldat der Polnischen Heimatarmee bekommt Erste Hilfe auf der Straße. Foto: Nationales Digitales Archiv (NAC)

Bewaffnung der Warschauer Aufständischen

Die Aufständischen waren den deutschen Besatzern militärisch weit unterlegen. Die Munitionsvorräte im Warschauer Stadtteil der Heimatarmee reichten für 3 Tage – während der Aufstand 63 Tage andauerte. Am Ende war die Stadt völlig zerstört.

 

Die Vorgeschichte

Im Juni 1940, kurz vor der Kapitulation Frankreichs, verlegte die polnische Exilregierung ihren Sitz nach London und steuerte von dort aus die Polnische Heimatarmee, der 1944 etwa 350.000 Bewaffnete angehörten.

Der sowjetische Diktator Josef Stalin unterstützte ausschließlich die polnischen Kommunisten. Während die Heimatarmee den Aufstand in Warschau begann, stoppte die Rote Armee am gegenüberliegenden Weichselufer, ohne in die Kämpfe einzugreifen. Ein Sieg der Heimatarmee, die vermutlich eine antikommunistische Regierung angestrebt hätte, lag nicht in Stalins Interesse.

 

Heinrich Himmler befiehlt Zerstörung Warschaus

Auf die Nachricht vom Ausbruch des Warschauer Aufstands reagierten die Nationalsozialisten mit rigoroser Vergeltung. Heinrich Himmler, Reichsführer der SS, gab den Befehl zur Zerstörung der Stadt.

 

»Wie ich die Nachricht vor dem Aufstand in Warschau hörte, ging ich sofort zum Führer. […] Ich sagte: Außerdem habe ich gleichzeitig den Befehl gegeben, daß Warschau restlos zerstört wird.«

Aus einer Rede Heinrich Himmlers, Reichsführer der SS, am 21. September 1944 zum Warschauer Aufstand

 

Während des Aufstands verübten die Nationalsozialisten etliche Massaker an der polnischen Bevölkerung. Sie töteten 150.000 bis 200.000 Warschauer*innen und legten die Hauptstadt in Schutt und Asche. Obwohl der Warschauer Aufstand die größte organisierte Widerstandsaktion gegen Nazi-Deutschland während des Zweiten Weltkriegs war, wissen Menschen außerhalb von Polen nur sehr wenig darüber.

 

100 unbekannte Geschichten des Warschauer Aufstands

Die Arolsen Archives bewahren noch persönliche Gegenstände von Menschen auf, die während des Warschauer Aufstands deportiert wurden. Die sogenannten Effekten – darunter Fotos, Briefe und Schmuck – sind Teil einer Sammlung von heute noch über 2.000 Umschlägen aus Konzentrationslagern, die nach dem Zweiten Weltkrieg von den Alliierten sichergestellt wurden.

Anlässlich des 80. Jahrestags des Warschauer Aufstands suchen die Arolsen Archives zusammen mit Freiwillen mindestens 100 Familien, um ihnen die persönlichen Gegenstände der NS-Opfer zurückzugeben und sie bei der Aufklärung ihrer Familienschicksale zu unterstützen. Das Motto: Der „Warschauer Aufstand. 100 unbekannte Geschichten“.

 

Persönliche Erinnerungsstücke von KZ-Häftlingen

Einer der hinterbliebenen Angehörigen ist Zbigniew Miłecki. Als der Warschauer Aufstand ausbrach, war der heute 80-Jährige gerade acht Monate alt. Zbigniew wurde zusammen mit seinen Eltern Bronisław und Zofia Miłecki während des Aufstands von den Nationalsozialisten verschleppt. Zbigniew, seine Mutter und seine 1945 geborene Schwester überlebten den Krieg und kehrten nach Warschau zurück. Das Schicksal seines Vater Bronisław blieb jedoch für die Familie lange ungeklärt. Bis Zbigniew die Nachricht erhielt, dass in den Arolsen Archives eine Uhr seines Vaters aufbewahrt wird.

 

Die Uhr von Bronisław Miłecki

 

Aus Dokumenten im Archiv geht hervor: Bronisław kam zunächst ins Konzentrationslager Sachsenhausen. Dort nahmen ihm die Aufseher seine Uhr ab. Später verschleppten ihn die Nazis in das Konzentrationslager Neuengamme. Danach verliert sich seine Spur.

Eine Uhr und Ohrringe sowie eine Brosche und eine Puderdose sind Erinnerungsstücke an zwei Frauen, die noch in den letzten Tagen des Warschauer Aufstands von den Deutschen verhaftet und in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück deportiert wurden: Stanisława Mordes und Anna Tomczyk. Dank der Bemühungen des Vizepräsidenten des Schwedischen Roten Kreuzes, Graf Folke Bernadotte, konnten die beiden Frauen aus dem Lager gerettet und nach Schweden gebracht werden. Anschließend kehrten sie nach Polen zurück.

80 Jahre später nehmen der Neffe von Stanisława Mordes, Jacek Mordes, und die Enkelin von Anna Tomczyk, Grażyna Malenka, die Erinnerungsstücke entgegen.

 

Brosche von Anna Tomczyk
Ohrringe von Stanisława Mordes

Die Effekten

100 Umschläge mit persönlichen Gegenständen wie dieser Schmuck sollen im Laufe des Jahres an Warschauerinnen und Warschauer zurückgegeben werden.

 

Feierliche Rückgaben an die Familien in Warschau

Die Rückgaben der Gegenstände sind sehr emotionale Momente und bedeuten den Familien viel. Zusammen mit den Effekten erhalten sie Kopien aller Dokumente über ihre Verwandten, die in den Arolsen Archives aufbewahrt werden. „Die Familien, die wir finden, erfahren oft erst aus den Dokumenten, was mit ihren Angehörigen geschehen ist“, sagt Anna Meier-Osinski, Initiatorin der Initiative.

Im Rahmen der Kampagne zum Jahrestag des Warschauer Aufstands nahmen bereits vier Familien persönliche Gegenstände ihrer Angehörigen entgegen. Am 10. September erwarten die Arolsen Archives mindestens weitere 15 Familien zu einer zweiten feierlichen Übergabezeremonie in der polnischen Hauptstadt. Und die Suche nach Familien geht zusammen mit vielen Freiwilligen weiter.

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