Es hat lange gedauert, bis auch die von den Nationalsozialisten als „Asoziale“ oder „Berufsverbrecher“ verfolgten, verschleppten und in KZ inhaftierten Menschen als „Opfer des nationalsozialistischen Unrechtssystems“ anerkannt wurden: Der Deutsche Bundestag stimmte erst im Februar 2020 einem entsprechenden Antrag zu. Die lebenslang Stigmatisierten werden nun endlich verstärkt in die Erinnerung und das öffentliche Gedenken einbezogen.

Das 1953 in Westdeutschland erlassene Bundesentschädigungsgesetz gewährte nur Personen Entschädigungen, die von den Nazis „aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung“ verfolgt worden waren; in der DDR verhielt es sich ähnlich. Von einer gesellschaftlichen und politischen Anerkennung als Verfolgte waren damit viele Gruppen ausgeschlossen, darunter auch die damals sogenannten „Asozialen“ und „Berufsverbrecher“, die in den Konzentrationslagern den schwarzen oder grünen Häftlingswinkel tragen mussten.

Den Begriff „Asoziale“ nutzten die Nazis als eine Sammelkategorie zur Verfolgung von Personen, die im sozialen Abseits standen– etwa Wohnungslose, Prostituierte und ihre Zuhälter, Bettelnde, Menschen, die staatliche Fürsorge empfingen, und nicht zuletzt Personen, die als „Zigeuner und nach Zigeunerart Umherziehende“ galten.

Kategorisierung der Häftlinge

Häftlinge, die von der Kriminalpolizei (Kripo) wegen vermeintlichem oder tatsächlichem sozial abweichenden Verhalten als „kriminell“ oder „asozial“ verhaftet wurden, fielen in die Kategorie der „Vorbeugehäftlinge“. Hierunter fassten die Nationalsozialisten auch viele inhaftierte Sinti und Roma. Sie ging entweder gegen soziale Außenseiter*innen vor (siehe das Schreiben links zur „vorbeugenden“ Verhaftung von 124 Personen) oder die Haft schloss direkt an die Entlassung aus einem Gefängnis an, obwohl die zu verbüßende Haftzeit abgeleistet worden war. Die Häftlingskategorie AZR stand für „Arbeitszwang Reich“ und wurde häufig an Personen vergeben, die als „asozial“ verhaftet worden waren.

Als „Berufsverbrecher“ stufte man dagegen Menschen ein, die wegen Eigentumsdelikten mehrfach vorbestraft waren – selbst, wenn sie ihre Haftstrafen längst verbüßt hatten, wurden sie in „Vorbeugehaft“ genommen und in Konzentrationslagern inhaftiert, um sie aus der „Volksgemeinschaft“ zu entfernen. Es wurden sogar junge Männer ohne jegliche Vorstrafen in KZ verschleppt, weil örtliche Polizisten ihnen eine kriminelle „Laufbahn“ voraussagten.

Erst in jüngster Zeit gab es eine neue Initiative, endlich auch diese Menschen als NS-Opfer anzuerkennen. Die meisten Angehörigen dieser Häftlingsgruppen machten selbst in der Öffentlichkeit nicht auf ihre Erlebnisse aufmerksam. Viele verschwiegen ihre Zeit im Konzentrationslager oder zumindest die Farbe ihrer Häftlingswinkel, aus Sorge vor Stigmatisierungen und angesichts fortdauernder Diskriminierungen, die sie oft über die Zeit des Nazi-Regimes hinaus erleben mussten.

Aufgrund dieser Diskriminierungen hinterließen die vermutlich Zehntausende Häftlinge mit grünem und schwarzem Winkel nur wenige persönliche Erinnerungen und es gab für sie auch später keine breit angelegten Zeitzeugenprojekte. Ihre Verfolgungsschicksale erschließen sich oft allein aus den in den Arolsen Archives verwahrten Registrierungsunterlagen sowie aus Listen über Transporte, Einweisungen und Entlassungen, Krankenbehandlungen, Arbeitskommandos oder Todesfälle in den KZ.

Dank der namensbezogenen Erschließung über die Zentrale Namenkartei gestattet unser Archiv die Rekonstruktion von Verfolgungswegen durch das KZ-System. Dieser Ansatz rückt nicht einzelne Inhaftierungsorte, sondern die Häftlinge und ihre Bewegungen zwischen den Lagern in den Mittelpunkt. So werden die Dynamik der Verfolgung, die Heterogenität von Verfolgungserfahrungen, aber auch insgesamt die Schwere der Verfolgung dieser Opfergruppen erkennbar. So finden wir etwa Jugendliche, die 1938 im Alter von 16 Jahren wegen „Umhertreibens“ verhaftet wurden und in den folgenden sieben Jahren teils sieben oder acht Konzentrationslager durchliefen, mit immer neuen Grauen. Bis zur Befreiung 1945 hatten sie ein Drittel ihres Lebens in Konzentrationslagern verbracht, doch niemand kümmerte sich anschließend um sie.

Dass im Februar 2020 die Regierungsmehrheit den Antrag von SPD und CDU/CSU annahm, die von den Nationalsozialisten als „Berufsverbrecher“ und „Asoziale“ bezeichneten Häftlinge als Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft anzuerkennen und die öffentliche Erinnerung an das Unrecht zu fördern, hat eher symbolischen Charakter – ein neues Entschädigungsprogramm ist damit nicht angestoßen. Der vielleicht wichtigste Satz der zugrundeliegenden Anträge und Diskussionen lautet: „Niemand wurde zu Recht in einem Konzentrationslager inhaftiert, gequält oder ermordet.“ Dies mag uns heute selbstverständlich erscheinen, ist aber erst das Ergebnis jahrzehntelanger gesellschaftlicher Diskussionen, in denen das gesellschaftliche Verständnis von nationalsozialistischem Unrecht schrittweise erweitert wurde.

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