„Glückliche Zeit“: Vor 78 Jahren bei den Arolsen Archives

Emma van Banning ist 24 Jahre alt, als sie im Herbst 1945 nach Deutschland kommt, um ihre Arbeit bei den Arolsen Archives aufzunehmen. Sie unterstützt Familien bei der Suche nach Angehörigen, die von den Nazis verschleppt worden waren. Erst als Schreibkraft, später leitet sie sogar ein Team. Die glücklichste Zeit ihres Lebens, wie die gebürtige Niederländerin ihrer Tochter Karen erzählt. Um mehr über die frühere Arbeit ihrer Mutter zu erfahren, besuchte Karen die Arolsen Archives vor Ort.

„Meine Mutter hat ihre Arbeit in Arolsen geliebt. Sie hat viel und oft von ihrer Zeit hier erzählt, wie sehr sie die Arbeit im Suchdienst liebte und wie sehr ihr die Kolleginnen und Kollegen von damals ans Herz wuchsen“, erzählt Karen Mayfield über Emma van Banning. Emma (genannt Emmy) war nach ihrer Zeit bei den Arolsen Archives in die USA ausgewandert, wo sie 1996 verstarb. „Sie hatte bis zu ihrem Tode zu einigen Freunden von damals noch ganz engen Kontakt“, ergänzt Karen.

 

Karen Mayfield (rechts) bei ihrem Besuch der Arolsen Archives im Oktober 2023.

 

In Bad Arolsen sah Emma glücklich aus

Die Highschool-Lehrerin im Ruhestand kommt aus Texas und kannte Bad Arolsen, den Ort, der ihrer Mutter so viel bedeutete, bisher nur von Fotos. „Darauf sieht sie so glücklich aus. Das hat mich neugierig gemacht.“ Seit einiger Zeit recherchierte Karen über ihre Familiengeschichte und die Zeit ihrer Mutter in Deutschland. Sie wollte dafür unbedingt auch vor Ort auf Spurensuche gehen. Anfang Oktober hat sie es geschafft. Bei den Arolsen Archives konnte sie der Arbeit ihrer Mutter hautnah nachspüren. Mit dabei ihre Tochter Katya, Enkelin von Emma.

 

»Ich wollte diesen Ort, diese Arbeit, die sie so sehr prägte, mit meinen eigenen Augen sehen.«

Karen Mayfield, Tochter von Emma van Banning

 

 

Mutter und Tochter auf Spurensuche

Karen und Katya haben auch die Dauerausstellung über die Arbeit der Arolsen Archives besucht. Hier konnten sie nachspüren, worin die Aufgabe ihrer Mutter und Oma Emma van Banning in den Anfangsjahren der Organisation direkt nach dem Krieg bestand.

 

Katya über ihre Oma und die NS-Zeit

 

 

Emma machte Karriere beim Suchdienst

Insgesamt sechs Jahre arbeitet Emma van Banning für die Vorläufer-Organisationen der Arolsen Archives. 1945 kommt die gebürtige Niederländerin zunächst als Schreibkraft für die United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) nach Bad Arolsen. Später wird sie Sekretärin und Tracing Officer für die International Refugee Organization (IRO) und leitet schließlich eine Abteilung im Göttinger Suchbüro des International Tracing Service (ITS). Diese Zeit hat sie mit vielen Fotos dokumentiert. Mehr als 100 Bilder, die ihre Tochter mit nach Bad Arolsen brachte, durften wir für unser Archiv einscannen. Eine tolle Dokumentation der frühen Suchdienst-Jahre – hier eine kleine Auswahl:

Emmas Bruder Alfons war NS-Opfer

Wahrscheinlich kam Emma durch ihren Bruder Alfons erstmals in Kontakt mit der UNRRA. Er war ein ehemaliger „Nacht-und-Nebel“-Häftling aus den besetzten Niederlanden: Ab 1941 verschleppten die Nationalsozialisten zur Abschreckung von Widerstand in den besetzten Gebieten Tausende „verdächtige“ Menschen nach Deutschland. Dort verurteilten sie die Häftlinge zum Tode oder hielten sie in Konzentrationslagern fest. Ihre Familien erfuhren bis zum Ende des Krieges nicht, warum und wohin ihre Verwandten so plötzlich verschwunden waren. Alfons van Banning überlebte die KZs Dachau und Natzweiler. Nach seiner Befreiung engagierte er sich bei den Suchdiensten – und wurde schließlich Leiter des niederländischen Suchdienstes in Arolsen. Seine zukünftige Frau Gwynneth Parry war seine Stellvertreterin. Sie heirateten im Juli 1947 und verließen Arolsen im Oktober 1952, um in die Niederlande zu ziehen.

 

Franziska Schubert von den Arolsen Archives zeigt Karen und Katya im News-Bulletin Nr. 2, den Namen von Alfons van Banning, Emmas Bruder. Er nahm 1949 an der Internationalen Suchkonferenz teil.

 

Die Last der Kriegsjahre abschütteln

Von den Schicksalen der Menschen in den KZs und den schrecklichen Funden in den NS-Unterlagen erzählt Emma van Banning später wenig. Stattdessen spricht sie von einer glorreichen Zeit, die ihr hilft, die gesamte Last der schrecklichen Kriegsjahre und NS-Gräuel abzuschütteln, wie ihre Tochter im Interview erzählt:

 

 

Ausgewandert mit der großen Liebe

In ihrer Zeit bei den Arolsen Archives lernt Emma van Banning auf einer Party im Schloss von Arolsen auch ihren späteren Ehemann kennen – einen American Air Force-Offizier. Für ihn verlässt sie 1951 Deutschland und geht zunächst für die Vereinten Nationen nach New York. 1953 heiraten die beiden. Ab dann trägt sie den Namen Emmy van Banning Mayfield. Sie bleibt in den USA und bekommt zwei Töchter: Karen und später Moira. Nach Bad Arolsen kehrte sie trotz der guten Erinnerungen nie wieder zurück. Das haben nun ihre Tochter und ihre Enkelin sehr gerne für sie nachgeholt.

 

Emma van Banning mit ihrem späteren Ehemann, einem US-Soldaten, den sie in ihrer Zeit in Deutschland kennengelernt hat. Die Liebe zu ihm führte sie schließlich in die USA, wo sie zwei Töchtern das Leben schenkt: Moira und Karen.

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