#StolenMemory geht neue Wege
Die Arolsen Archives verwahren noch rund 2.800 persönliche Gegenstände ehemaliger KZ-Häftlinge. Mit dem Start der Kampagne „#StolenMemory“ vor drei Jahren setzten sie sich zum Ziel, die Angehörigen der NS-Verfolgten aktiv zu suchen und die „gestohlenen Erinnerungen“ an die Familien zurückzugeben. Unterstützt wird die Kampagne durch Plakat-Ausstellungen: An exponierten Orten werden die sogenannten Effekten und die Schicksale von Menschen aus der jeweiligen Region gezeigt, um eine möglichst große Öffentlichkeit zu erreichen. Die Bedeutung einer solchen Ausstellung für das jeweilige Ausstellungsland allein durch den regionalen Bezug ist enorm.
Nach erfolgreichen ersten Plakat-Ausstellungen am UNESCO Gebäude in Paris, in Innsbruck und in Kassel im Jahr 2018 erreichte die Kampagne #StolenMemory 2019 ein breit gemischtes internationales Publikum aus Politik, Wissenschaft, Bildung und interessierter Öffentlichkeit. In diesem Jahr hatte Griechenland den Vorsitz des Internationalen Ausschusses der Arolsen Archives inne. Dessen jährliche Tagung bildete den Rahmen für eine #StolenMemory Ausstellung im griechischen Außenministerium in Athen. Floriane Azoulay über die Bedeutung dieser Ausstellung: „Unter den persönlichen Gegenständen gibt es einige, die griechischen Häftlingen gehörten. Diese waren in der im Außenministerium in Athen gezeigten Ausstellung #StolenMemory zu sehen und können auch in unserem Online-Archiv recherchiert werden. Durch die Ausstellung in Griechenland konnte zum Beispiel eine nach Australien ausgewanderte Familie gefunden werden – ein großer Erfolg.“
Wichtiger Jahrestag in Polen
Nach der Eröffnung einer über den ganzen Sommer dauernden Ausstellung in Luxemburg kam #StolenMemory zum ersten Mal nach Polen. Mit symbolkräftiger Wirkung: Die Suche nach Angehörigen von Opfern des NS-Regimes hat in dem osteuropäischen Land eine besondere Bedeutung. Denn obwohl ein Großteil der bei den Arolsen Archives verwahrten Gegenstände polnischen Opfern der NS-Verfolgung gehören, wissen deren Angehörige meistens nichts über deren Existenz. Umso wichtiger war es, anlässlich des 80. Jahrestages des Überfalls auf Polen und des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs mit drei #StolenMemory Ausstellungen auf dem Platz der Ghettohelden in Krakau, in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte (IJBS) Oświęcim/Auschwitz und im Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig Aufmerksamkeit für diese Kampagne zu gewinnen.
#StolenMemory wird Bildungsprojekt
In Danzig und Oświęcim beschritt #StolenMemory als Bildungsprojekt erstmals neue Wege: In Kooperation mit dem Deutsch-Polnischen Jugendwerk (DPJW) wird die Kampagne in deutsch-polnische Jugendbegegnungsprojekte integriert. Die Gruppen, die sich aktiv an der Kampagne #StolenMemory beteiligen wollen, werden zukünftig von den Arolsen Archives beraten und mit Dokumentenmaterial unterstützt. In der IJBS arbeiten Schüler in mehreren Seminaren mit den gezeigten Biografien und Dokumenten aus den Arolsen Archives, recherchieren nach Schicksalen aus der Region und begeben sich auf Spurensuche. Langfristiges Ziel des Projekts ist die Übergabe der persönlichen Gegenstände an die Familien.
»Die Kontaktaufnahme mit Familien und die Dokumentation der Erinnerungen leistet einen Beitrag zum kollektiven Gedächtnis. Oft sind den Familien vor allem in Polen und Russland selbst 75 Jahre nach Kriegsende keine Informationen zum Schicksal ihrer Angehörigen bekannt. Sie bekommen wichtige Hinweise zu Verfolgungswegen und auch Grabstellen erst durch dieses Projekt und können so mit dem Geschehenen abschließen.«
Anna Meier-Osiński, bisherige Leiterin der Abteilung Tracing. Ab Februar 2020 Outreachmanagerin für die Region Zentral- und Osteuropa.
#StolenMemory geht auf Wanderschaft
2019 starteten außerdem Vorbereitungen für ein weiteres neues Konzept der Kampagne: In einem Zeitraum von zwei Jahren wird eine #StolenMemory Wanderausstellung an mindestens 20 verschiedenen Orten innerhalb Deutschlands zu sehen sein. Gefördert wird das Projekt im Rahmen der Maßnahme „Kultur in ländlichen Räumen“ von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Ziel ist es, die mobile Ausstellung für Menschen in ländlichen Gebieten generationsübergreifend und leicht zugänglich zu machen. Dazu wird ein Übersee-Container zu einem mobilen Ausstellungsraum umgebaut, der ohne großen Aufwand von Ort zu Ort „wandert“. Begleitet wird die Ausstellung von einer Website und pädagogischem Material, um gezielt jüngere Zielgruppen zu erreichen. Durch Verknüpfung mit digitalen Elementen, wie Animationsfilmen oder auf dem Smartphone abrufbaren Interviews mit Angehörigen, aber auch 3D-Effekten zum Anfassen wird #StolenMemory zu einem zeitgemäßen Bildungsangebot ausgebaut.
Ausblick
Die Arbeit mit Studenten und Schülern wird auch im kommenden Jahr fortgesetzt. Neben Projekten in Kooperation mit dem DPJW und der IJBS werden erstmals in Italien im Januar 2020 Studenten der Ca‘ Foscari Universität Venedig intensiv an den Vorbereitungen für die Ausstellung beteiligt sein: Sie führen Recherchen, Übersetzungen und Interviews mit Zeitzeugen durch und leiten Führungen durch die Ausstellung. Im Februar wird die Plakatausstellung #StolenMemory zum ersten Mal in einer Schule zu sehen sein: Das Abendgymnasium Speyer organisiert die Ausstellung als Erinnerung an das Ende der Zweiten Weltkrieges in der Pfalz. Weitere internationale Ausstellungen sind bereits in Planung: in Brüssel, Moskau, Barcelona sowie im Museum Auschwitz zum 80. Jahrestag des ersten Transportes polnischer Häftlinge im Juni 2020.