Der schlimmste Feind des Menschen ist die Ignoranz“, nach diesem Gebot lebte und arbeitete der Imam Abdelkader Mesli. Als Mitglied des französischen Widerstands soll er unzähligen Menschen bei der Flucht geholfen haben, darunter auch Jüdinnen und Juden. Die Nationalsozialisten verhafteten ihn wegen seiner Rolle in der Résistance.

Nur wenigen ist Abdelkaders Geschichte bekannt. Doch bis heute ist er ein Symbol des Widerstands und der Solidarität über Glaubensgrenzen hinweg. 1902 wurde er in Algerien geboren, zu einer Zeit, in der das Land noch unter französischer Kolonialherrschaft stand. Dort musste er seinen Lebensunterhalt mit harter Arbeit in den verschiedensten Jobs verdienen. Er arbeitete im Bergbau, als Hafenarbeiter, als Zimmermann und später als Straßenhändler.

 

»[Ich erzähle die Geschichte meines Vaters] um zu zeigen, dass Juden und Muslime in der Lage sind, zusammenzuleben, da sie es bereits getan haben.«

Mohammed Mesli, Abdelkaders Sohn im Jahr 2020 in einem Interview mit der Times of Israel

 

In Frankreich war Abdelkader nicht willkommen

Als Händler reiste er viel durch Frankreich und Belgien. Dabei bekam er immer wieder Probleme mit den französischen Behörden. Wegen seiner algerischen Herkunft behandelten die Europäer*innen ihn als „Franzosen zweiter Klasse“. Um diesen Schikanen ein Ende zu bereiten, besorgte er sich einen belgischen „Ausländerpass“. Schon früh machte er die Erfahrung, in Frankreich nicht willkommen zu sein.

 

Als Imam konnte Abdelkader Verfolgten helfen

Abdelkader hielt an seinem Glauben fest. 20 Jahre nach seiner Ankunft in Frankreich wurde er schließlich der Imam der Großen Moschee in Paris. Im Jahr 1943 reiste er als Delegierter der Pariser Moschee nach Bordeaux, wo er sich um Krankenfürsorge und Beerdigungen kümmerte.

 

Die Große Moschee von Paris, 2006 (Foto: Gryffindor, Wikimedia Commons)
Die deutsche Wehrmacht besetzte die französische Stadt Bordeaux von Juli 1940 bis August 1944 (Foto: Bundesarchiv, Bild 101I-074-2852-36A / Reitzner / CC-BY-SA 3.0)

Die Besetzung Frankreichs

Die deutsche Wehrmacht besetzte große Teile Frankreichs ab Juni 1940. Auch Bordeaux wurde von deutschen Truppen kontrolliert. Die Stadt im Südwesten Frankreichs galt als Hochburg der Résistance. Mit der Kapitulation der Wehrmacht anlässlich der Befreiung von Paris im August 1944 endete die Besatzung.

 

Eine Moschee als Ort der Zuflucht

In Bordeaux schloss er sich dem französischen Widerstand, der „Organisation de Résistance de l’Armée“ (ORA), an. Er unterstützte geflüchtete nordafrikanische Zwangsarbeiter*innen mit falschen Dokumenten. Es heißt, dass seine Moschee auch als Rückzugsort für Jüdinnen und Juden gedient habe. Er soll ihnen falsche muslimische Glaubensbescheinigungen ausgestellt haben, um sie vor der nationalsozialistischen Verfolgung zu bewahren. Es ist jedoch nicht genau belegt, wie sich Abdelkader an der Résistance beteiligt hat.

Im Juli 1944 verhaftete ihn die Gestapo in einem Restaurant in Bordeaux. In einem nahegelegenen Gefängnis folterten sie ihn und einen seiner Mitarbeiter. Am 8. August 1944 deportierten die Nationalsozialisten sie in das KZ Dachau. Der Transport dauerte mehrere Wochen an. Die quälende Irrfahrt im Hochsommer von Südfrankreich überlebten viele der Häftlinge nicht, weshalb die Deportation als sogenannter „Geisterzug“ in die Geschichte einging.

 

Bei der Verhaftung trug Abdelkader wahrscheinlich eine Gebetskette, die sogenannte Misbaha, bei sich. (Foto: Khalid Mahmood, Wikimedia Commons)

 

Vom Imam zum Zwangsarbeiter

Die Nationalsozialisten hielten Abdelkader bis September 1944 im KZ Dachau fest. Danach überstellten sie ihn in ein Außenlager des KZ Mauthausen, wo er brutale Zwangsarbeit beim Bau eines unterirdischen Rüstungsprojektes verrichten musste.

 

Schreibstubenkarte von Abdelkader Mesli, die die Überstellung vom Konzentrationslager Dachau in das KZ Mauthausen festhält

 

Abdelkader überlebte die Haft und die Zwangsarbeit stark geschwächt. Nach der Befreiung arbeitete er wieder als Imam in der Pariser Moschee, heiratete und bekam zwei Kinder. Über die Kriegsjahre und seine KZ-Haft sprach er mit seiner Familie aber nie. Er starb 1961 im Alter von 59 Jahren. Erst 50 Jahre danach fand seine Schwiegertochter in seinem alten Schreibtisch Papiere, die seine Zeit als Imam und seine Verhaftung in ein ganz neues Licht rückten.

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