„Dass mein Großvater in einem Konzentrationslager gestorben ist, hat mir meine Mutter erzählt, als sie 40 Jahre wurde.“ Der Gedanke daran ließ Uwe Schmeichel nicht los, und er begann, sich mit dem Schicksal seines Großvaters zu beschäftigen. Die Nationalsozialisten kennzeichneten sogenannte „Berufsverbrecher“ in den Konzentrationslagern mit einem grünen Winkel auf der Häftlingskleidung. Uwe Schmeichels Großvater Max Schlott wurde wie viele tausend Menschen so stigmatisiert. Als Häftlingskategorie taucht die Bezeichnung auch in den Dokumenten auf, die der International Tracing Service (ITS) bewahrt. Darauf war Uwe Schmeichel gefasst, denn er hatte bereits in den Gedenkstätten Sachsenhausen und Niedernhagen Auskünfte über die KZ-Inhaftierungen gefunden. „Mit dem ‘Berufsverbrecher‘ hat es folgendes auf sich“, so Uwe Schmeichel. „Großvater hatte als Handwerker eine Firma in Klingenthal und war in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Er schaffte es nicht, das von seinem Schwager geliehene Geld zurückzuzahlen. Der zeigte ihn an, so dass mein Großvater wegen Wechselbetrugs verurteilt und inhaftiert wurde.“ Nach der Entlassung aus einem Zuchthaus in Sachsen ging Max Schlott zu einer Schwester nach Rostock, die seine zwei jüngsten Kinder aufgenommen hatte. Seine Ehefrau war 1938 gestorben. Die Mutter von Uwe Schmeichel, jüngste Tochter von Max Schlott, erinnert sich daran, dass sie ihren Vater in Rostock zum letzten Mal gesehen hat. Der versuchte Neustart in Rostock gelang nicht, denn der gelernte Schlosser fand weder eine Arbeit noch eine Wohnung. „Im Sommer 1941 wurde er von der SA oder SS aus der Wohnung seiner Schwester abgeholt“, berichtet Uwe Schmeichel über das unglückliche Schicksal seines Großvaters. Seit 1937 war es nationalsozialistische Politik, den Begriff „Berufsverbrecher“ auch auf Menschen anzuwenden, die nach der Haft ohne festes Arbeitsverhältnis waren. Max Schlott wurde zunächst in Rostock inhaftiert, seine Schwester setzte sich vergeblich für seine Freilassung ein. Aus den Akten im Archiv des ITS geht hervor, dass er vom 14. Juli bis zum 11. August 1941 im Häftlingskrankenbau des KZ Sachsenhausen inhaftiert war. Ein erhaltener Brief an seine Mutter vom 10. September 1941 dokumentiert, dass er auch danach noch im KZ Sachsenhausen war. Der Brief offenbart eine weitere familiäre Tragödie: Seine Schwester in Rostock war überraschend gestorben. Max Schlott bangte um die Zukunft seiner Kinder. Uwe Schmeichel skizziert die schweren Kindheitsjahre seiner Mutter: „Es wurde schlimm für sie, denn sie wurde regelrecht rumgeschubst. Bei der Familie eines Cousins erlebte sie schlechte Zeiten. Schließlich wurde sie freundlich von den Schwiegereltern ihres großen Bruders, der für die Nazis gearbeitet hat, aufgenommen. Über das Schicksal des Vaters durfte keiner etwas erfahren.“ Tod im Konzentrationslager Niedernhagen Wann Max Schlott aus dem KZ Sachsenhausen in das KZ Niedernhagen deportiert wurde, ist unbekannt, da auf einer erhaltenen Effektenkarte fälschlicherweise als Einlieferungsdatum sein Geburtstag eingetragen ist. Bekannt ist aber sein Todesdatum, er starb dort am 16. Januar 1942. Das KZ Niedernhagen befand sich in unmittelbarer Nähe der zur zentralen Versammlungsstätte für höchste SS-Offiziere ausgebauten Wewelsburg. Überlebende schilderten es als Ort der besonders brutalen und grausamen Schikanen durch die SS. Uwe Schmeichel fährt seit 2008 jedes Jahr am 2. April zu der Gedenkfeier für die Ermordeten in die Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg. Der Besuch beim ITS war für ihn wichtig, da er zum ersten Mal Dokumente über den Großvater im Original sehen konnte, darunter die Effektenkarte mit seiner Unterschrift. Auf der Karte ist vermerkt, welche persönlichen Dinge Max Schlott bei seiner Einlieferung bei sich hatte und abgeben musste. Auf der Rückseite findet sich ein handschriftlicher Vermerk, der ebenfalls den Anschein von „Recht und Ordnung“ im Unrechtsstaat dokumentiert: „Nachlaß wurde am 20.1.42 (…) zur Auslieferung an seinen Vater Heinrich Schlott (…) gesandt.“
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