„Anders sein. Außenseiter in der Geschichte“
Ihr Beitrag für den Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten 2014/2015 führte die Schülerin Morena Eckert zum ITS – hier berichtet sie über ihr Projekt.
Der Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten hatte 2014/2015 das Thema „Anders sein. Außenseiter in der Geschichte“. Die Vorgabe war unter anderem, entweder einen familiären Bezug zu seinem Thema zu haben oder einen örtlichen. Normalerweise hat man für die Themenfindung, das Recherchieren und Schreiben sechs Monate Zeit. Da ich den Wettbewerb allerdings erst spät entdeckt habe, hatte ich nur noch rund zweieinhalb Monate Zeit. Demnach musste ich zügig ein spannendes Thema finden. Als erstes kam mir die SPD im Hotzenwald in den Sinn. Ich war allerdings nicht zufrieden und habe nach einem weiteren Thema gesucht, auf das ich dann schnell gestoßen bin: Ich entschloss mich, über behinderte/kranke Menschen zu schreiben, die im Zeitraum von 1933-1945 lebten. Da meine Urgroßtante als kleines Kind an einer Hirnhautentzündung erkrankte und als Folge eine geistige Behinderung bekam, war somit der Bezug über die Familie gegeben.
Genovefa war die Tante meiner Großmutter. Meine Oma kann sich recht gut an ihre Tante erinnern. Allerdings haben ihre Erinnerungen nicht für einen kompletten Beitrag für den Wettbewerb gereicht, da nicht mehr als zwei Seiten zusammenkamen. Ich musste mich also nach alternativen Quellen umsehen und habe über das Thema viele Bücher gelesen. Doch ich wollte nicht nur über geschichtliche Fakten schreiben, sondern auch über die Lebenssituation damals. Durch meine Krankheit war ich damals noch nicht in der Lage, das Haus zu verlassen, weswegen die Suche nach verlässlichen Quellen nicht ganz leicht war. Trotzdem habe ich Kontakte gefunden, die mir aus eigener Erfahrung oder Recherche mehr über diese Zeit berichten konnten. Somit hatte ich die Möglichkeit, meinen Bericht mit weiteren Zeugenaussagen zu belegen. Ich habe sehr viele Archive angeschrieben und hatte beim ITS glücklicherweise Erfolg: Ich konnte zwar die Dokumente nicht online einsehen, jedoch hat Herr Akim Jah angeboten, mir ausgewählte Dokumente als PDF-Datei zuzuschicken. Das war für mich ein unglaubliches Glück! So konnte ich einen kleinen Jungen, der zu dieser Zeit lebte, in meinem Bericht erwähnen: Johann Borowczak. Allerdings hatte ich auch Schwierigkeiten: Mir fiel es beispielsweise immer wieder schwer, Wörter in der Akte zu entziffern. Zudem habe ich versucht, mehr über Johann herauszufinden und auch eine Kontaktperson in Polen gefunden. Durch diese Sprachbarriere war es mir unmöglich, mehr über ihn zu erfahren. Bei einer anderen Person, die im Archiv des ITS zu finden war, Karl Ehrat, habe ich sehr lange nach Nachfahren gesucht und habe auch Anhaltspunkte gefunden, die sich dann allerdings wieder im Sande verlaufen haben. Durch meine Erfahrungen habe ich einen unglaublichen Respekt vor der Arbeit von Historikern bekommen, den ich zwar schon vorher hatte, aber nicht in diesem Maße.
Durch den Geschichtswettbewerb habe ich unglaublich viel Wissen gewonnen und sehr viel über diese grausame Zeit erfahren. So etwas darf sich nie wieder wiederholen! Und es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen. Ich habe in meiner Arbeit auch Parallelen zur heutigen Gesellschaft gezogen, die mich teilweise sehr erschreckt haben. Denn kranke/behinderte Menschen wurden im Nationalsozialismus ausgegrenzt, zwangsweise sterilisiert und ermordet, weil sie nicht in das propagierte Menschenbild passten, wenig bis keine Leistung erbringen konnten und der „Volksgesundheit“ „abträglich“ waren. Auch heute sind wir eine Leistungsgesellschaft: Wer keine Arbeit hat, gerät schnell an den Rand der Gesellschaft und wird ausgegrenzt. Und auch die Durchführung von Intelligenztests (früher wie auch heute) weist darauf hin, dass Leistung ein wichtiger Bestandteil im Leben ist. Das westliche Schönheitsideal grenzt ebenfalls diejenigen aus, die beispielsweise aufgrund einer Krankheit/Behinderung anders aussehen. Und auch die leicht übersehbaren Barrieren im alltäglichen Leben grenzen Menschen aus und behindern sie, beispielsweise die Unmöglichkeit, mit Rollstuhl den öffentlichen Personennahverkehr zu benutzen und unüberwindbare Treppen.
Die Autorin Morena Eckert (19) gehört mit ihrem Beitrag „Behinderung/Krankheit: Ausgrenzung im Dritten Reich – mit verschiedenen persönlichen Schicksalen“ zu den Preisträger/innen des Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten 2014/2015. Sie gehörte zu den Landessieger/innen von Baden-Württemberg und errang auf Bundesebene einen dritten Preis. Seit 2013 ist sie auf den Rollstuhl angewiesen. Seit 2014 ist Morena Eckert Schülerin der Flex-Fernschule in Oberrimsingen, eine Schule, die über schriftlichen Kontakt (Lernbriefe) zu den Schülern nach Hause kommt. Für ihren Beitrag hat sie mit Unterstützung der Abteilung Forschung und Bildung des ITS recherchiert.