Der Journalist Thomas Muggenthaler recherchiert seit vielen Jahren beim ITS und in anderen Archiven zum Thema „Verbrechen Liebe. Polnische Zwangsarbeiter und deutsche Frauen“. Im März 2017 hat er seinen mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichneten Film beim ITS gezeigt und mit den rund 80 Besucherinnen und Besuchern über seine Projekte gesprochen. Er nutzte den Besuch zugleich, um einige der ITS-Mitarbeiterinnen persönlich kennenzulernen, die für ihn recherchiert haben, und berichtete, wie wichtig diese Recherchen für seine Arbeit waren.

Sie beschäftigen sich als Journalist beim Bayerischen Rundfunk häufig mit der NS-Zeit. Wie kamen Sie zu diesem Schwerpunkt?

Meine Magisterarbeit 1985-86 war eine Lokalstudie über die Kleinstadt Cham im bayerischen Wald in der NS-Zeit. Da spielt ein Fall rein, die Hinrichtung von Julian Majka in Michelsneukirchen im Nachbar-Landkreis Roding, mit dem ich mich 30 Jahre später intensiv beschäftigt habe. Zwischen der Magisterarbeit und den Recherchen zu den Hinrichtungen polnischer Zwangsarbeiter liegen viele Jahre, in denen ich vor allem zur Geschichte des KZ Flossenbürg gearbeitet habe. Zu Beginn meiner Recherchen existierte keine Gedenkstätte Flossenbürg, die den Namen verdient hätte. Es gab einen Gärtner und sonst nichts. Das Gelände gehörte zur Bayerischen Schlösser- und Seenverwaltung. 1995 fand dann ein erstes internationales Häftlingstreffen statt. Die ehemaligen Häftlinge haben den Erinnerungsprozess angestoßen, so dass es heute eine Gedenkstätte gibt, die den Namen verdient.

Sie sprachen die Hinrichtung von Julian Majka an. Weshalb rückte dieses Verbrechen in Ihren Fokus?

Ein amerikanischer GI hatte der Gedenkstätte Flossenbürg zur Erarbeitung der neuen Dauerausstellung Fotos von der Hinrichtung eines Zwangsarbeiters übergeben. Lange Jahre hatte man nicht gewusst, wer das Opfer war. Es ist mir im Zuge meiner damaligen Recherchen gelungen nachzuweisen, dass es sich um die Hinrichtung von Julian Majka handelt.

Das war ein Teil Ihrer umfangreichen Forschungsarbeit zu dem Thema „Verbrechen Liebe. Polnische Zwangsarbeiter und deutsche Frauen“.

Ja. Als die Entschädigungsdebatte um Zwangsarbeiter auf dem Höhepunkt war, habe ich für den Hörfunk eine Sendung über polnische Zwangsarbeiter in Bayern gemacht. Ich war damals auch in Polen unterwegs, auf der Suche nach ehemaligen Zwangsarbeitern. Daraus entstand später ein kleines Buch. Im Zuge dieser Recherchen habe ich in einem bayerischen Archiv ein Dokument aus der Nachkriegszeit gefunden, in dem die Hinrichtungen polnischer Zwangsarbeiter durch die Gestapo Regensburg aufgelistet waren. Ich war von dem Thema so geplättet, dass daraus einige Hörfunksendungen entstanden sind, das Buch und der Film.

Wie viele Hinrichtungen sind dort dokumentiert?

Im Raum der Gestapo Regensburg wurden demnach 22 Zwangsarbeiter ermordet; nicht immer waren Verhältnisse mit deutschen Frauen der Vorwurf. Es gab in Bayern drei Gestapostellen, neben Regensburg noch die Gestapoleitstellen München und Nürnberg. Ich habe auch von dort Listen und werde hoffentlich bald dazu recherchieren.

An welchen Stellen und in welchen Archiven suchen Sie nach Informationen?

So ziemlich überall, ich habe in den 80er Jahren sogar in Ost-Berlin geforscht, weil ich hoffte KPD-Akten zu finden. Zu jedem Fall recherchiere ich in verschiedenen Archiven. So finde ich Bruchteile von Biografien, die – mit Glück – zusammen ein Bild ergeben. Lokale Archive haben oft etwas über die Vorgeschichte. In der KZ Gedenkstätte Hinzert lassen sich Informationen zu polnischen Zwangsarbeitern finden, die in dem SS-Sonderlager ihre „Eindeutschungsfähigkeit“ beweisen sollten. Da die Frauen fast immer in das KZ Ravensbrück kamen, frage ich natürlich in der dortigen Gedenkstätte an. Der ITS ist für mich von zentraler Bedeutung, um zu erfahren, was aus den Menschen geworden ist und um Hinweise zu Angehörigen zu bekommen.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Viele Sachen habe ich nur mit Hilfe von Bad Arolsen recherchieren können. In dem Film taucht sehr eindrucksvoll die Tochter von Julian Majka auf, die ich in Polen gefunden habe. Aber erst nach einem Hinweis vom ITS: „Wir haben da eine Korrespondenz, es gibt jemanden in Polen. Wir fragen nach, ob Sie sich dort melden dürfen.“ Die Antwort der Familie kam sehr schnell: „Kommen Sie. Bringen Sie alles mit.“ Das war der spektakulärste Fall, aber es gab noch andere. In einem Fernsehbeitrag habe ich mit der Schwester eines Hingerichteten gesprochen, die ich auch über den ITS gefunden habe. Inzwischen werde ich nicht selten von Angehörigen um Hilfe gebeten und gebe diese Bitten dann an den ITS weiter.

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