Gedenken und Anerkennung führten den ehemaligen Kriegsgefangenen und KZ-Inhaftierten Alexandr Afanasjew auf eine Reise nach Deutschland – kurz vor dem 9. Mai, dem russischen Jahrestag des Siegs über Nazi-Deutschland. Der 94-Jährige wollte gemeinsam mit seiner Tochter und seiner Enkelin beim International Tracing Service (ITS) die Original-Dokumente sehen, die Zeugnis über seinen Verfolgungsweg geben. Sie ermöglichten seinen Antrag auf die symbolische Anerkennung als Kriegsgefangener. „Es ist besser, sich an gute Dinge zu erinnern als an schlechte. Da bleibt mehr Freude“, betont Alexandr Afanasjew, der 1941 mit 19 Jahren als sowjetischer Soldat in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten war. Er berichtet deshalb als erstes von Menschen, die ihm geholfen haben. Die ihm nach tagelangem Hungern Brot zusteckten oder in den Kriegsgefangenenlagern respektvoller mit ihm sprachen. Beeindruckend gut ist sein Deutsch nach dieser langen Zeit. In der Schule hatte er die Sprache gelernt, in den Lagern rettete sie vielleicht sein Leben, denn Übersetzer wurden gebraucht, erinnert er sich. Über die Zeit in den Konzentrationslagern spricht er nur, wenn er direkt gefragt wird. Im Januar 1944 hatte ihn ein missglückter Fluchtversuch aus dem Kriegsgefangenenlager in der Ukraine zunächst ins Polizeigefängnis Hagen und im August 1944 in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht. Schlimmste Qualen erlebte er bei der Schwerstarbeit im gefürchteten KZ-Außenlager Ellrich-Juliushütte. „Wir durften nur vier Stunden schlafen, auf dem Boden ohne Kissen. Man ließ uns lange in der Kälte stehen. Das alles nur, um den Häftlingen die Arbeit noch schwerer zu machen.“ Er erkrankte schwer, kam in den Krankenbau des Konzentrationslagers Mittelbau und Anfang April nach Bergen-Belsen, wo er die Befreiung erlebte. Mit anderen russischen Gefangenen wurde er in die sowjetische Zone gebracht und fuhr im November 1946 zurück in seine Heimat. Bis heute arbeitet Alexandr Afanasjew als Holzschnitzer und Maler, außerdem hat er rund 40 Bücher veröffentlicht. Nach so vielen Jahren den Weg nach Deutschland auf sich zu nehmen, war eine spontane Entscheidung. Unterstützt von seiner Tochter hatte er begonnen, in russischen Archiven nach Belegen für seine Gefangenschaft zu suchen. Er brauchte Dokumente, um die symbolische Anerkennung beantragen zu können, die der Deutsche Bundestag 2015 beschlossen hatte. Für das durch die Nazi-Diktatur verursachte Leid erhalten die auf rund 4.000 geschätzten, heute noch lebenden sowjetischen Kriegsgefangenen die einmalige Zahlung von 2.500 Euro – wenn sie einen Nachweis erbringen können. Die Frist dafür endet schon bald, am 30. September 2017. Für Alexandr Afanasjew blieb die Suche nach Dokumenten in Moskau erfolglos, doch bekam er einen Hinweis auf den ITS. Er stellte direkt eine Anfrage und erhielt Kopien aller Dokumente über seinen Verfolgungsweg, darunter das wichtige Zeugnis seiner Inhaftierung als Kriegsgefangener. Zutiefst davon bewegt, dass diese Dokumente im Archiv des ITS bewahrt werden, fasste er den Entschluss nach Deutschland zu kommen. In den Archivräumen inmitten der langen Reihen von Schränken und Regalen, zwischen denen auch seine Papiere liegen, hebt er die Bedeutung der Sammlung hervor: „Der Wert dieser Dokumente steigt immer mehr. Sie sind die Erinnerung.“ Der Antrag von Alexandr Afanasjew auf Entschädigung wurde bewilligt. „Um das Geld geht es mir nicht“, betont er. Die Anerkennung sei ihm viel wichtiger. So möchte er die 2.500 Euro dafür verwenden, sein Buch mit Aufzeichnungen über die Jahre der Inhaftierung zu veröffentlichen: ein persönlicher Beitrag zum Tag der Befreiung am 8. beziehungsweise 9. Mai.
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