Saida Kikhlyarova aus Aserbaidschan ist 26 Jahre alt und die erste Freiwillige, die im Rahmen Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V. zum International Tracing Service (ITS) kam. Sie hat in Aserbaidschan Fremdsprachenpädagogik studiert. Mit den sechs Sprachen, die sie spricht, und durch ihr großes Engagement hat sie schnell an vielen ITS-Projekten mitarbeiten können. Für den ITS hätte die ASF-Zusammenarbeit nicht besser starten können! Im Interview erzählt Saida Kikhlyarova über ihre Aufgaben, ihre Motivation und das Leben in Bad Arolsen.

Wie kam es, dass Du Dich für den Freiwilligendienst beworben hast?

Über einen Freund habe ich vom ASF gehört. Je mehr ich über die Aufgaben las, desto mehr sprach mich dieser Friedensdienst an. Ich wollte immer schon an sozialen Projekten mitarbeiten. In Aserbaidschan gibt es solche Möglichkeiten leider kaum. Besonders interessant fand ich die Auseinandersetzung mit dem Begriff Sühnezeichen. Denn, wenn jemand um Versöhnung bitten kann, dann können wir dadurch etwas Frieden in die Welt bringen. Ich bin froh, dass das Leben mir eine Möglichkeit gibt, etwas ehrenamtlich für die Menschen und für die Gesellschaft zu tun.

Du bist Mitte 2017 zum ITS gekommen. Wie sieht Deine Arbeit hier aus?

Ich unterstütze das russischsprachige Team. Dazu gehören vor allem Übersetzungstätigkeiten, Bearbeitung von Anfragen, Recherche von Verfolgungswegen in den Dokumenten des digitalen ITS-Archivs. Ich schreibe Briefe und telefoniere auch ab und zu, wenn russische Sprachkenntnisse gebraucht werden. Unsere Aufgaben bestehen darin, Schicksale von NS-Verfolgten zu recherchieren und den Menschen hinter den Dokumenten „ein Gesicht“ zu geben. Diese Arbeit ist sehr wichtig, um die Erinnerungen an die verfolgten und ermordeten Menschen wachzuhalten.

Der ITS ist mit über 250 Mitarbeiter*innen eine große Institution. Lernst Du auch andere Aufgabenbereiche kennen?

Zweimal in der Woche arbeite ich in der Abteilung Forschung und Bildung. Dort habe ich zum Beispiel an einem Schülerprojekt zur Geschichte der Konzentrationslager und der NS-Zwangsarbeit mitgearbeitet. Außerdem habe ich bei der Organisation eines Workshops geholfen. Es ging dabei um die Vorbereitung von NS-Gedenkstättenbesuchen auf Grundlage lokalhistorischer Quellen aus den Beständen des ITS. Eine andere Aufgabe ist, im Team für die zukünftige ITS-Dauerausstellung zu recherchieren. Ich habe die Archiv-Abteilung kennengelernt. Hier habe ich Inhalte von russischsprachigen Dokumenten zusammengefasst.

Fühlst Du Dich wohl beim ITS?

Die Kollegen haben mich sehr freundlich aufgenommen, und ich fühlte mich von Anfang an in einer familiären Atmosphäre. Nach der Arbeit wurde ich zu unterschiedlichen Veranstaltungen eingeladen. Durch diese Veranstaltungen habe ich neue Leute kennengelernt, so dass es keinen Anlass gab mich einsam zu fühlen. Dafür bin ich meinen Kollegen sehr dankbar. Es ist ein Vorteil, in einer kleinen Stadt zu sein. Ich glaube, dass es leichter ist, Kontakt zu bekommen. Ich bin aber sowieso kein Mensch, der viel ausgeht.

Wie stark belastet es Dich, jeden Tag mit den persönlichen und oft sehr schrecklichen Schicksalen von NS-Opfern zu tun zu haben?

Als ich die ersten Anfragen von Menschen las, die um Hilfe bei der Suche nach Unterlagen baten, war ich sehr gerührt. Ich wollte sofort eine Information finden und es dem Angehörigen mitteilen. Aber die Chance, eine entsprechende Auskunft zu finden, ist nicht immer groß. Es gibt auch die Tage, an denen ich nur negative Auskünfte schreibe. Das finde ich sehr traurig. Ich bin froh, wenn es im Archiv Informationen gibt. Die Ergebnisse sind manchmal sehr grausam und ich weiß kaum, wie ich solche schlimmen Auskünfte den Verwandten mitteilen kann. Aber es ist wichtig, die Wahrheit zu kennen.

Ich erinnere mich an eine Anfrage mit der Information, dass die gesuchte Person auswanderte und damit noch eine Chance bekam, am Leben zu bleiben. Doch die Recherchen im Archiv zeigten, dass die gesuchte Person hingerichtet wurde. Das war echt schockierend für mich.

Einen Satz von einer Kollegin werde ich nie vergessen. Sie hat gesagt: „Der Krieg für uns endet erst, wenn wir die letzte Anfrage bearbeitet haben und jeder Antragsteller eine Antwort erhalten hat.“ ITS-Mitarbeiter*innen geben ihr Bestes um diese Aufgabe zu erfüllen, damit die Opfer des Nationalsozialismus nicht vergessen werden. Ich bin sehr stolz darauf, dass ich ein Teil von diesem Team bin.

Was möchtest Du nach Deinem Freiwilligendienst machen?

Ich möchte gerne Sozialarbeit in Deutschland studieren, vielleicht in Köln. Die Arbeit mit Flüchtlingen interessiert mich. Die Zeit beim ITS hat mir sehr geholfen, mein Deutsch zu verbessern. Vorher hätte ich mir ein Studium auf Deutsch nicht zugetraut.

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