„Die historische Erinnerung soll allen gehören“
Erinnerungsorte in Deutschland kennenlernen und daraus Anregungen für die eigene Arbeit ziehen: Das war das Ziel einer Studienreise, die die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) für Gäste aus Kolumbien organisiert hatte. Die Reise fand im Rahmen des GIZ-Programms ProPaz zur Unterstützung der Friedensentwicklung in Kolumbien statt. Eine Station war der Besuch des International Tracing Service (ITS) am 27. November 2015.
„Ich glaube, dass der ITS für einige der Teilnehmenden ganz besonders interessant ist“, beschrieb Christian Müller von Seiten der Organisatoren die Erwartungen an den Besuch in Bad Arolsen. Die Reisegruppe setzte sich aus Vertreterinnen und Vertretern staatlicher sowie zivilgesellschaftlicher Institutionen Kolumbiens zusammen, die sich für die Aufarbeitung des Mordens, der Verschleppungen und Menschenrechtsverletzungen sowie für das Gedenken an die Opfer engagieren.
Der ITS stellte sich mit seinen vielfältigen Aufgaben vor – ausgehend vom Archiv als Schnittstelle zwischen einem aktiven Suchdienst, der Dokumentation von Verfolgungswegen, sowie Forschung, Bildung und Gedenken. In Absprache mit den Organisatorinnen und Organisatoren der GIZ lag ein besonderer Fokus auf den Bildungsangeboten des ITS. Elisabeth Schwabauer, Leiterin des Referats Pädagogik und Bildung beim ITS, stellte heraus, dass individuelle Biografien ein wichtiger Zugang in der Bildungsarbeit sind. Anhand der Dokumente im ITS werden die Schicksalswege einzelner Menschen herausgearbeitet, um so die Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte besser erfahrbar zu machen.
Beispiel für Wege der Erinnerungsarbeit
Die Erinnerungsarbeit über einen Zeitraum von sieben Jahrzehnten nach der Zerschlagung des NS-Regimes umfasst viele Stationen, die in Kolumbien noch offen sind: Mit der Dokumentation des Unrechts, der Suche nach Verschollenen und deren Gräbern wurde erst in den letzten Jahren begonnen. Die Amtsübernahme von Präsident Juan Manuel Santos im August 2010, seine Anerkennung des Bürgerkriegs in Kolumbien und eine umfassenden Gesetzgebung zur Opferentschädigung spielten dabei eine entscheidende Rolle. Die laufenden Friedensverhandlungen mit der größten Guerillagruppierung FARC sollen nächstes Jahr zu einem Abschluss kommen, mit anderen stehen sie noch aus. Die Regierung Kolumbiens beziffert die Zahl der Vertriebenen innerhalb des Landes mit 6,5 Millionen; ein nationales Register für Opfer der langjährigen Konflikte führt über sieben Millionen Menschen an.
Eine breite Öffentlichkeit erreichen
Die Gäste aus Kolumbien zeigten sich beeindruckt von der Arbeit und dem über viele Jahrzehnte gewachsenen Archiv des ITS. Einige Parallelen gibt es zu dem im Aufbau befindlichen Centro Nacional de Memoria Histórica, dem Nationalen Zentrum für historische Erinnerung in Bogotá, dessen zentrale Aufgabe die Dokumentation sowie die Anregung öffentlicher Diskussionen zur Vergangenheit ist. Zwei Mitarbeiterinnen des Zentrums gehörten zu der Reisegruppe. María Juliana Machado Forero arbeitet an pädagogischen Projekten. Sie legt großen Wert darauf mit ihrer Arbeit eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, um eine Wiederholung der Geschichte zu verhindern: „Die historische Erinnerung sollte sich nicht auf akademische Kreise begrenzen. Sie sollte von allen sein, sie gehört allen.“ Yohanna Cuervo Sotelo gehört innerhalb des Zentrums zur Leitung des Nationalen Museums der Erinnerung. Die Zielsetzungen der Institution beschreibt sie so: „Das Museum hat die Aufgabe, mit seinen Aktivitäten die Würde der Opfer wiederherzustellen und die Wahrheit über das Geschehene zu verbreiten. Zudem wird das Museum ein Fortschritt für die Erinnerung des Staates sein, in dessen Interesse es liegt, die Rechte der kolumbianischen Gesellschaft auf die Konstruktion von Erinnerung und Frieden zu garantieren.