Katharina Menschick stellt uns das neueste Bildungsangebot für #everynamecounts vor. Seit August 2020 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Forschung und Bildung und vor allem für die Entwicklung digitaler Projekte zuständig. Gemeinsam mit Henning Borggräfe, Christian Höschler und Sabine Moller entwickelte sie eine digitale Einführung für die Crowdsourcing-Initiative #everynamecounts. Im Interview spricht sie über die Hintergründe der Online-Anwendung und über die Verantwortung der Arolsen Archives, die Archivdokumente zu kontextualisieren.

#everynamecounts ist gerade in die internationale Kampagne gestartet. Die digitale Einführung wurde extra für den neuen Auftakt entwickelt. Wie entstand die Idee dazu?

Die Idee basiert auf zwei Überlegungen. Zum einen war es uns wichtig, den Entstehungskontext der Dokumente zu erklären. Die Dokumente, die derzeit bei #everynamecounts indiziert werden, sind im Zuge der Verfolgung und Ermordung von Millionen von Menschen entstanden und spiegeln die NS-Ideologie wider. Gleichzeitig sind sie in vielen Fällen das letzte oder einzig bekannte Zeugnis über das Schicksal einer Person. Die Arolsen Archives haben mit der Bewahrung und im Umgang mit diesen Dokumenten eine sehr große Verantwortung. Mit der Online-Veröffentlichung eines Großteils der Archivbestände liegt es insbesondere auch in unserer Verantwortung, den Kontext ihrer Entstehung und ihre Inhalte zu erklären.

Zum anderen wissen wir, dass bei #everynamecounts – durch die Corona-Pandemie nochmal verstärkt –  sehr viele Menschen allein von zuhause aus mitmachen. Um den Inhalten gerecht zu werden und die Bedeutung der Dokumente zu verstehen, ist es wichtig, dass zu dem Gedenkprojekt, das ausschließlich online funktioniert, auch eine Einführung online verfügbar ist.

Worum geht es in der digitalen Einführung?

Die Einführung ist als Einstieg zu #everynamecounts gedacht. Idealerweise begegnen die Freiwilligen der Einführung bevor sie anfangen zu indizieren und wir können sie so auf das vorbereiten, was sie erwartet. Jedes Dokument zeugt vom Schicksal einer oder mehrerer Personen und zum Teil werden auch extrem menschenverachtende Inhalte auf den Dokumenten abgebildet. Wir finden es wichtig, das vorab zu thematisieren.

In der Einführung lernen die Freiwilligen nicht nur um welche Dokumente es geht und wie sie erstellt wurden, sondern auch wie sie nach Bad Arolsen gekommen sind und was die Arolsen Archives mit den Dokumenten machen. Wir erklären, warum es wichtig ist, sie zu indizieren und damit durchsuchbar zu machen, und welche Bedeutung sie beispielsweise für Angehörige und für Forscher*innen haben können.

Wie habt ihr die digitale Einführung aufgebaut?

Im Mittelpunkt der Einführung steht das Dokument zu Sigfried Schneck, der als Sinto im Alter von 15 Jahren deportiert und ermordet wurde.

Sigfried Schneck wurde als 15-jähriger Junge als Sinto von den Nazis nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Anhand dieses Dokuments gibt die Einführung einen kurzen Einblick in das Schicksal von ihm und seiner Familie und geht auf die Verfolgung der Sinti und Roma ein.

Wir zoomen nacheinander auf verschiedene Ausschnitte auf dem Dokument, zum Beispiel auf seinen Namen, seine Unterschrift, seinen Wohnort. Jeder der Ausschnitte wird erklärt und die entsprechenden Hintergrundinformationen gegeben. Man nähert sich den Inhalten des Dokuments in drei Schritten an: Beim „Erkunden“ erfährt man wie es entstanden und schließlich nach Bad Arolsen gekommen ist. Das „Reflektieren“ des Dokuments geht auf die Umstände der Verfolgung von Siegfried Schneck und seiner Familie und damit auch auf die Verfolgung der Sinti und Roma ein. Schließlich folgt der Teil „Mitmachen“, das interaktive Element der Einführung. Bei #everynamecounts kann es mitunter schwierig sein, die Daten so einzugeben, dass sie später für die Suche gut verwendet werden können. Hier übt man daher das Eingeben der Daten.

Abschließend gibt es noch einen Teil, „Vertiefen,“ in dem wir auf die unterschiedlichen Haft- und Verfolgungskategorien eingehen. Es ist wichtig, die Teilnehmer*innen von #everynamecounts über diese Kategorien zu informieren, damit die nationalsozialistischen Zuschreibungen, die auf den Dokumenten vermerkt sind, nicht einfach unkommentiert stehen bleiben.

In ihrer Arbeit bei den Arolsen Archives beschäftigt sich Katharina Menschick mit der Frage, wie digitale Formate genutzt werden können, um Wissen über die NS-Verbrechen und die Bedeutung der Dokumente in den Arolsen Archives zu vermitteln. Die digitale Einführung zu #everynamecounts ist das erste Projekt, an dem sie als Teil der Abteilung Forschung und Bildung gearbeitet hat.

Für wen ist die Einführung?

Grundsätzlich ist die digitale Einführung für alle, die bei #everynamecounts mitmachen wollen, und ganz besonders richtet sie sich an Jugendliche und Schüler*innen. Sie ist eine Möglichkeit, über die Verfolgung im Nationalsozialismus und die Bedeutung der Dokumente in den Arolsen Archives zu lernen. Die Begegnung mit den Dokumenten macht deutlich, dass hinter jedem Namen ein menschliches Schicksal steht, ein Individuum und eine Geschichte.

Eine letzte Frage: Warum ist das Projekt für Schulen besonders geeignet?

Wir möchten Schulen in der Zeit der Corona-Pandemie unterstützen. Daher haben wir für sie noch weitere Materialien erstellt: Es gibt einen Vorschlag für Lehrer*innen, wie Sie die Einführung in den Unterricht oder einen Projekttag einbetten können, sowie ein kommentiertes Quellenverzeichnis, in dem alle Bilder und Dokumente, die in der Einführung vorkommen, näher erklärt werden. Wir hoffen, dass die Schüler*innen sich so auch über die Einführung hinaus mit dem Thema beschäftigen. Außerdem planen wir gerade eine #everynamecounts-Schulkampagne und erarbeiten weitere Bildungsmaterialen.

 

Vielen Dank, Katharina, für den Einblick in die digitale Einführung!

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