Vier Familien von Opfern des Nationalsozialismus fand das polnische Rote Kreuz allein in den letzten Wochen. So gelangten persönliche Gegenstände, die in den Arolsen Archives aufbewahrt wurden, in die richtigen Hände. Insgesamt haben durch diese gute Zusammenarbeit in Polen bereits rund 20 Familien wichtige Informationen sowie den letzten Besitz der ehemaligen KZ-Häftlinge erhalten.

Seit dem Start von #StolenMemory unterstützt das polnische Rote Kreuz die Arolsen Archives tatkräftig bei der Kampagne. Viele Familien konnten gefunden werden. Auch die von Jan Kajak, geboren 1921. Im August 1940 lieferte die nationalsozialistische Geheime Staatspolizei den damals 19-Jährigen in das neu errichtete Konzentrationslager Auschwitz ein. Seine Häftlingsnummer war die „2451“. Seinen Ausweis und seine Taschenuhr nahm die SS ihm bei der Ankunft im KZ ab.

Von Auschwitz aus verschleppten die Nationalsozialisten Jan Kajak zur Zwangsarbeit in das bei Hamburg gelegene Konzentrationslager Neuengamme. Seine persönlichen Gegenstände wurden der dortigen Lagerverwaltung übergeben. Das war eine übliche Vorgehensweise der NS-Bürokratie. Aus diesem Grund sind sie erhalten, denn einige tausend dieser sogenannten Effekten aus dem KZ Neuengamme konnte die Britische Armee nach Kriegsende sicherstellen.

Warum die Rückgabe so wichtig ist

Dass Jan Kajaks Ausweis mit Passbild und seine Taschenuhr nun in die Familie zurückkehren konnten, ist Julia Wojciechowska-Fijałkowska und ihren Kolleginnen vom Polnischen Roten Kreuz zu verdanken. Die Caseworkerin erklärt, warum es gerade heute eine wichtige Aufgabe ist, die Familien zu finden und was es für sie bedeutet. „Die Rückgabe von persönlichen Gegenständen an die Angehörigen der ehemaligen Häftlinge ist aus zwei verschiedenen Gründen wichtig. Erstens wurden die Gegenstände unabhängig davon, wie klein oder gewöhnlich sie sind, von einem kriminellen Regime gestohlen, so dass ihre Rückgabe wichtig ist, um das der Familie zugefügte Unrecht zumindest in gewisser Weise zu mildern.“ Mindestens ebenso wichtig ist jedoch aus ihrer Erfahrung ein zweiter Grund: „Die Familien, die wir finden, haben oft nichts anderes, um sich an ihre Verwandten zu erinnern. Die Effekten werden geschätzt, weil sie vielleicht die einzigen Erinnerungen sind, die die Kriegszerstörung überlebt haben.“

Die Trennung der Familien kam während des Zweiten Weltkriegs oft plötzlich, und die Mehrheit der Personen kam nie wieder nach Hause. Wir hoffen, dass die Rückgabe des Nachlasses zumindest eine Chance ist, sich von den Opfern angemessen zu verabschieden.

Julia Wojciechowska-Fijałkowska, Caseworkerin beim Polnischen Roten Kreuz

Was die Gegenstände den Familien bedeuten

Laut Julia Wojciechowska-Fijałkowska sind die Reaktionen der Familien sehr unterschiedlich, wenn sie von den Gegenständen ihrer Angehörigen erfahren. Die einen sind einfach glücklich über eine Gelegenheit, Erinnerungen an einen geliebten Menschen zu teilen. Sie sind froh, dass sie ihren Kindern und Enkeln ein Familienerbstück zusammen mit ihrer Geschichte weitergeben können.

Bei jüngeren Generationen kommen andere Aspekte hinzu: „Wenn wir Personen finden, die mit dem ursprünglichen Besitzer der Gegenstände weiter entfernt verwandt sind, zum Beispiel Enkel oder Urenkel, drücken sie oft aus, dass die Verbindung zu ihrer Familiengeschichte durch tatsächliche Gegenstände ein besonderes Gefühl ist: wie das Öffnen einer Zeitkapsel.“

Viele Puzzleteile ergeben ein Bild

Zwar haben die Arolsen Archives die persönlichen Gegenstände von Jan Kajak aufbewahrt, aber in den gesammelten Dokumenten gibt es nur wenige Hinweise auf sein Leben vor der Verfolgung. Der Kontakt zu den Familien, der durch die Rückgabe der Gegenstände zustande kommt, ist eine Chance, mehr Informationen zu individuellen Schicksalen zusammenzutragen. Denn noch gibt es in den Familien vielfach Wissen über die NS-Opfer. Das Polnische Roten Kreuz und alle weiteren #StolenMemory-Freiwilligen sammeln solche Informationen und geben sie oder den Kontakt zu den Angehörigen weiter. Das ist einer von verschiedenen Gründen, warum sich die Arolsen Archives als lebendiges Archiv verstehen. Es ist wichtiger denn je, die Geschichten der Menschen zu sammeln, denn bald schon können keine Zeitzeugen mehr von den Auswirkungen von Rassismus, Antisemitismus und Diktatur berichten.

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