Die besondere Aufgabe der Suche nach Überlebenden und Familienangehörigen übernimmt Margret Schlenke mit ihrem Team von rund 15 Mitarbeiter/innen. Die Leiterin Referat Suchdienst und Schicksalsklärung kam 1970 zum ITS. Im Interview spricht sie über die Sucharbeit.

Frau Schlenke, können Sie sich noch an den Start beim Suchdienst erinnern?

Meine Vorgesetzte war eine Frau der ersten Stunde. Vilma Andersons hatte die nationalsozialistische Verfolgung in Lettland erlebt und war nach dem Krieg als Displaced Person in Deutschland registriert. Sie hatte zuvor schon bei der UNRRA und IRO gearbeitet, den Vorgängerinstitutionen des ITS. Von ihr habe ich viel gelernt. Sie vermittelte mir auch, wie wichtig es ist, sich in die Opfer hineinzuversetzen und nichts unversucht zu lassen. Im Jahr 1976 habe ich die Leitung der Abteilung übernommen. Seither ist es mein Anliegen, meine Mitarbeiter für die Sucharbeit zu sensibilisieren, mein Wissen und meine Erfahrungen an sie weiterzugeben.

Worauf kommt es bei Ihrer Arbeit an?

Selbstverständlich muss ich mich im Dokumentenbestand des ITS auskennen. Besonders die Dokumente aus der Nachkriegszeit sind für uns oft der erste Anhaltspunkt unserer Suche. Aus diesen Akten gehen die Länder hervor, in die Displaced Persons nach dem Krieg ausgewandert sind. Der zweite wichtige Punkt unserer Arbeit ist, dass ich den richtigen Ansatz für die Recherche erkenne. Ich muss wissen, bei welchen Rot-Kreuz-Stellen,

Einwohnermeldeämtern und anderen Archiven ich nachhaken kann. Aber besonders wichtig ist es, ein Gefühl für die Anfragen zu entwickeln, denn oft führen auch Umwege zum Erfolg. Das Kribbeln und die Spannung, dem Antragsteller helfen zu wollen, sollten immer da sein. Dann bin ich auch bestrebt, alle Möglichkeiten auszuschöpfen.

Ihre Aufgabe hat für die Menschen eine hohe emotionale Bedeutung.

Das Urbedürfnis zu erfahren, was mit Angehörigen passiert ist, bleibt immer bestehen. Das gilt auch für die zweite und dritte Generation. Viele Opfer setzen sich erst im Alter mit ihrer Vergangenheit auseinander. Sie wollen Klarheit oder lüften Familiengeheimnisse, etwa über uneheliche Kinder während des Krieges. Oft finden sie auch erst jetzt die Zeit, über vermisste Geschwister und Angehörige zu sprechen und bringen den Mut auf, Anfragen bei uns zu stellen. Wenn wir dann Väter in Frankreich, Halbgeschwister in Australien oder die Cousine in Russland finden und die Familien nach so vielen Jahren wieder zusammenbringen, sind diese Momente sehr emotional und herzlich. Unsere Antragsteller berichten von Gefühlen der Freude, innerer Ruhe und Zufriedenheit.

Und wenn Sie keine Angehörigen mehr finden können?

Auch Details aus den ITS-Unterlagen sind enorm wichtig für die Opfer und Angehörigen. Deshalb schicken wir Kopien der Originalunterlagen mit. Das bedeutet den Familien eine Menge. Oft ist es ein letzter schriftlicher Hinweis, den sie über ihre Angehörigen in den Händen halten können. Ein Grabstein kann ebenfalls den Abschluss einer Suche darstellen und dem Antragsteller inneren Frieden bringen.

Was bedeutet Ihnen Ihre Arbeit?

Die Aufgabe, den Suchdienst beim ITS zu leiten, betrachte ich als eine Ehre für mich. Sie lässt mich manchmal auch zu Hause nicht los. Häufig habe ich ein Bauchgefühl, das mir sagt, da muss ein Hinweis zu finden sein. Dann gehen mir Zusammenhänge noch einmal durch den Kopf, und ich setze die Puzzleteile immer wieder neu zusammen. Am nächsten Tag bespreche ich mich mit Kollegen und gemeinsam entscheiden wir. Bei unserer Arbeit ist es wichtig, mit Leib und Seele dabei zu sein. Hier geht es um Gefühle, Emotionen und teilweise heikle Familiengeschichten. Leider kommt es auch hin und wieder vor, dass wir Personen gefunden haben, die den Kontakt abgelehnt haben. Diese persönlichen Entscheidungen sind sehr traurig für das gesamte Team, werden jedoch selbstverständlich von uns respektiert.

Sie erwähnten, dass Sie ein Netzwerk haben, die Sie bei der Recherche unterstützt.

Ohne die Suchdienste des Roten Kreuzes und die vielen anderen Stellen hätten wir manche Familien nicht zusammenführen können. Der Austausch untereinander hat eine enorme Bedeutung bei der Recherche. In der Korrespondenz kommt es auf jedes kleine Detail an. Informationen müssen exakt und verständlich wiedergegeben werden, damit bei der weiteren Suche keine Missverständnisse auftreten. Meine Mitarbeiter bringen bei dieser Arbeit viel Eigeninitiative und Kombinationsgabe auf.

Haben Sie manchmal das Gefühl, Sie hätten bereits alle Schicksale einmal gehört?

Jede Anfrage, die in meiner Abteilung eingeht, ist eine neue Herausforderung für uns. Manche Fälle erschüttern mich noch heute. Es ist unglaublich, welche Details aus den Unterlagen und der Korrespondenz hervorgehen. Unser Motto für die tägliche Arbeit lautet: „Wer etwas versucht, kann scheitern. Wer es nicht versucht, ist schon gescheitert“.

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