Die beiden griechischen Historiker Stratos Dordanas und Vaios Kalogrias haben gemeinsam beim International Tracing Service (ITS) über die nationalsozialistischen Konzentrationslager in Griechenland geforscht. Sie fanden viel Material, mit dem sie nicht gerechnet hatten.

In Griechenland gab es 1943 und 1944 zwei größere Konzentrationslager: das KZ Chaidari bei Athen und das KZ Pavlos Melas im Nordwesten Thessalonikis. Ein kleineres Lager war das Durchgangslager in Larisa. Die Geschichte dieser Lager steht im Zentrum eines Forschungsprojektes, das über die Aristoteles Universität in Thessaloniki läuft und vom Auswärtigen Amt in Deutschland gefördert wird. Verschiedene Historiker arbeiten daran unter der Leitung vom Assistent-Professor Giorgos Antoniou mit, darunter Stratos Dordanas, Assistent-Professor an der Universität Makedonien, und Vaios Kalogrias, Lehrbeauftragter und Projektmitarbeiter am Historischen Seminar (Arbeitsbereich Zeitgeschichte) der Universität Mainz. Ende September 2017 waren sie für eine Woche beim ITS und haben den Bestand des Archivs mit Bezug zu ihrem Forschungsthema durchgesehen. „Unsere Aufgabe bei dem Projekt ist die Recherche von deutschen Quellen“, berichtet Vaios Kalogrias. „Die relevanten Informationen und Dokumente werden später auf einer Website veröffentlicht.“

Aus der Sicht der beiden Wissenschaftler ist die Auseinandersetzung mit diesem Thema längst überfällig. Es gibt Erinnerungen in griechischer Sprache von ehemaligen KZ-Häftlingen, einzelne wissenschaftliche Aufsätze, aber eine Monografie steht noch aus. „Meiner Meinung nach ist Griechenland das einzige Land, in dem so wenig systematisch über Konzentrationslager geforscht wurde“, erläutert Stratos Dordanas. „Das hat seine Gründe in der politischen Situation Griechenlands nach der Befreiung von den deutschen Besatzungstruppen. Bis 1974 gab es keine Zeitgeschichte in Griechenland. Man hatte gar keinen Zugang zu den griechischen Quellen. Erst in den 90er Jahren hat sich die Lage gebessert, zum Beispiel durch die Öffnung des Archivs des griechischen Außenministeriums.“

Beim ITS fanden die beiden Historiker viel mehr als sie erwartet hatten. Eine große Überraschung waren die erhaltenen Kriegsgerichtsakten aus der Zeit der deutschen Besatzung. Dabei sind Urteile gegen kommunistische Aufständische. Obwohl im Archiv des ITS überwiegend Dokumente über die Opfer des NS-Regimes bewahrt werden, fanden die zwei Historiker in Protokollen der amerikanischen und britischen Militärs auch Informationen über Kollaborateure, die zusammen mit den Besatzern 1944 aus Griechenland geflohen waren. „Wir wussten nicht, dass es diese Dokumente gibt. Keiner hat bislang damit gearbeitet“, so Stratos Dordanas. Auch wenn dies nicht direkt im Zusammenhang mit den griechischen Konzentrationslagern steht, sollen Hinweise auf diese Bestände auf der geplanten Website veröffentlicht werden, um den Forschungsbedarf hervorzuheben.

Für das aktuelle Projekt bieten die biografischen Dokumente über Verfolgte des NS-Regimes interessante Informationen. Auch hier öffnen sich aus der Sicht von Vaios Kalogrias weitere Türen für anschließende Forschungsarbeiten: „Wir sind erstaunt, wie viele Griechen sich als Geiseln, KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiter oder auch als freiwillige Zivilarbeiter im damaligen Reichsgebiet aufgehalten haben. Wir werden einige konkrete Biografien aufnehmen. Dokumente wie Ausweise oder Todesmeldungen geben Hinweise auf die Schicksale. Das ist wichtig, auch um die Deportationen zu dokumentieren. Aber wir können in den wenigen Tagen hier natürlich nicht alle biografischen Materialien ansehen, die im Archiv des ITS sind.“

Die Zeit nach der Befreiung Griechenlands wird im Rahmen des Forschungsprojektes nicht ausgeklammert, ist aber kein Schwerpunkt. Der Aufenthalt beim ITS hat nach Einschätzung der beiden Historiker große wissenschaftliche Lücken aufgedeckt. „Über griechische Displaced Persons gibt es bislang gar keine Forschung. Das ist ein ganz neues Thema. Was ist mit den Menschen nach 1945 passiert? Wie viele sind in Deutschland geblieben, wie viele sind emigriert? Damit hat sich noch nie jemand beschäftigt. Auf der Website wird viel Material sein, das man in Griechenland zum ersten Mal sieht.“

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