Kinder als Displaced Persons im Fokus der Forschung
Die gesellschaftlichen und persönlichen Nachwirkungen der Shoah sowie der nationalsozialistischen Zwangsarbeit waren das Thema des Workshops „Nach der Befreiung - zur Situation von Überlebenden und Kindern als Displaced Persons (DPs). Neue Zugänge in Bildung und Wissenschaft“, den der International Tracing Service (ITS) gemeinsam mit dem Max Mannheimer Studienzentrum in Dachau veranstaltet hat.
Seit einigen Jahren steigt das Interesse der Forschung daran, wie die vielen Millionen DPs die Zeit nach der Kapitulation des NS-Regimes erlebten und welche Unterstützung sie bekamen. Die US-Historikerin Atina Grossmann bezeichnete in ihrem Einführungsvortrag zu dem Workshop diese Jahre als Interregnum – zwischen den traumatischen Erlebnissen von Krieg, Genozid und Displacement sowie der Last des Neustarts. Sie lenkte den Blick darauf, dass sich in Deutschland und einigen Nachbarländern – wenige Jahre nachdem NS-Deutschland als „judenrein“ erklärt worden war – rund 300.000 Jüdinnen und Juden aufhielten, überwiegend aus Ostmittel- und Osteuropa. Die jüdischen DPs und die deutsche Bevölkerung lebten zwar im gleichen Land, aber in unterschiedlichen Welten, fundamental getrennt durch ihre Erfahrungen während des Krieges.
Neues Forschungsinteresse: Displaced Children
Innerhalb der sogenannten „Aftermath Studies“ war das Themenfeld der Kind-Überlebenden bislang kaum präsent. Ausgehend von dem wenig erforschten Bestand der Akten des Child Search Branch (Kindersuchdienst) im Archiv des ITS lag hier ein zweiter Schwerpunkt des Workshops. Der Historiker Boaz Cohen, Leiter der Holocaust-Studien am Western Galilee College in Akko, Israel, betonte, dass die Nachkriegsgeschichte ohne Berücksichtigung der Displaced Children nicht vollständig sei, vor allem vor dem Hintergrund der Bedeutung dieser Generation bis heute.
Pädagogische Workshops und Exkursionen
Der zweite Seminartag setzte einen Schwerpunkt auf DPs als Thema der Bildungsarbeit, das vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingsthematik stark an Bedeutung gewinnt. Referent/innen aus Gedenkstätten und Museen stellten ihre neuen Ansätze vor. Parallel gab es zwei Exkursionen zu ehemaligen DP-Einrichtungen: zum DP-Camp Föhrenwald als eines der größten Lager, das erst 1956 offiziell aufgelöst wurde, sowie zum DP-Kinderzentrum Kloster Indersdorf. Der Nachmittag bot Begegnungen und Gespräche mit Zeitzeugen als Erfahrungsgeschichte von Betroffenen.
Internationale Forschungsprojekte
Mit vier Panel-Veranstaltungen über „Kinder als Überlebende und DPs“ knüpfte der dritte Tag des Workshops an den einleitenden Vortrag von Boaz Cohen an. Zehn Wissenschaftler/innen aus sieben Ländern stellten ihre Forschungsprojekte vor, die sowohl die persönlichen Folgen für die Kinder und Jugendlichen umfassten als auch Untersuchungen der Strukturen organisierter Hilfe: von der Versorgung einzelner Nationalitäten, über Familienzusammenführungen bis hin zur Anwendung von Analysemöglichkeiten der Digital Humanities zur Skizzierung von Wegen in ein neues Leben.
Das ITS-Jahrbuch 2017 als Konferenzband
Während des Workshops wurde im Max-Mannheimer Studienzentrum die Wanderausstellung des ITS »„Wohin sollten wir nach der Befreiung?“ Zwischenstationen: Displaced Persons nach 1945« eröffnet, die bis Ende Juli 2016 dort zu sehen ist und interessierten Einrichtungen auch weiterhin für Leihnahmen zur Verfügung steht. Workshop und Ausstellung waren die ersten Schritte in einer engeren Zusammenarbeit zwischen dem ITS und dem Max-Mannheimer Studienzentrum.
Dessen pädagogische Leiterin, Nina Ritz, zeigte sich zufrieden: „Die Tagung hat unsere Erwartungen mehr als erfüllt. Es war eine große Bereicherung für unsere Arbeit, die internationalen Beiträge zu Bildungsangeboten sowie neue Forschungsergebnisse in einer methodisch abwechslungsreichen Veranstaltung zu diskutieren. Im Ergebnis hat die Tagung den Diskurs zum Thema befördert und viele neue Projektideen hervorgebracht - auch solche, die das historische Thema mit der Gegenwart verknüpfen.“ Auch ITS-Direktorin Floriane Hohenberg betonte den Wert der Kooperation: „Um zukünftig noch stärker das Forschungspotenzial aufzuzeigen, das in unserem Archiv liegt, brauchen wir Partnerschaften und Projekte wie diese.“ Gemeinsam mit dem Max Mannheimer Studienzentrum wird der ITS sein Jahrbuch 2017 als Konferenzband veröffentlichen, der auf den Beiträgen des internationalen Workshops basiert.