Lucyna überlebte Auschwitz: „Zeigt der Welt, dass dieser Mensch noch lebt“

Eine ältere Frau sitzt an einem Tisch. Sie zeigt eine eintätowierte Häftlingsnummer auf ihrem Arm. Das ist Lucyna Wojno, die drei Konzentrationslager überlebt hat. 

Lucyna Wojno krempelt den Ärmel ihres rot gemusterten Pullovers hoch. Sie trägt die Nummer 44357, die ihr im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz tätowiert wurde. Zu diesem Zeitpunkt war sie 25 Jahre alt. Sie erinnert sich noch an ein Gedicht aus jenen Jahren, das sie mit zitternder Stimme in Auszügen zitiert. „Bei Sonnenaufgang gibt es Bewegung vor den Toren, die Behörden kommen heraus und pissen auf die Hunde (…) Die tägliche Farce beginnt. Wie schön der Rauch aus dem Schornstein quillt…“

 

Lucyna Wojno mit ihrer Häftlingsnummer als Tätowierung

Frau Lucyna ist eine fröhliche, bescheidene und äußerst gesellige Person. An diesem Tag trifft sie Anna Meier-Osiński von den Arolsen Archives, die ihr Kopien aller im Archiv aufbewahrten Dokumente über ihren Aufenthalt in den Lagern übergibt. Lucynas Sohn Jerzy ist auch dabei und eine Sache ist ihm besonders wichtig: „Zeigen Sie der Welt, dass diese Person noch lebt“.

 

»Bei diesen Lebensbedingungen damals hätte ich schon lange weg sein müssen. Aber ich bin gesund und munter.«

Lucyna Wojno, Auschwitz-Überlebende

 

Flucht aus sowjetischer Gefangenschaft

Lucyna Wojno wurde am 6. April 1918 in Wojny-Wawrzyńce (Woiwodschaft Podlachien) als Tochter von Aleksander und Stefania geboren. Im Alter von zwei Jahren wurde sie zum Waisenkind. Ihre Tante kümmerte sich um das kleine Mädchen und war für seine Erziehung verantwortlich. „Die Schwester meiner Mutter hat sich um mich gekümmert, aber du weißt ja, wie es ohne Eltern ist. Aber irgendwie haben wir überlebt… Es war ein schweres Leben und ich bin ohne Liebe aufgewachsen. Aber das ist jetzt Vergangenheit. Das Leben hat mich so geformt, dass ich glücklich bin – ich habe eine eigene Wohnung, ich habe einen Sohn, der sich um mich kümmert“, sagt sie.

Als der Krieg begann, war Lucyna in Warschau und ihr gelang die Flucht aus der sowjetischen Gefangenschaft, in die sie im September 1939 geraten war. Ab 1941 musste sie als zivile Zwangsarbeiterin bei Fuhrmann & Co in München arbeiten, wie Dokumente in den Arolsen Archives zeigen. Ihr Vorgesetzter meldete sie bei der Gestapo als politisch Verdächtige, angeblich wegen illegalen Handels.

 

Politische Gefangene in Auschwitz

Sie wurde eine Woche lang in Gewahrsam genommen und dann im Mai 1943 von der Staatspolizeileitstelle München in das Konzentrationslager Auschwitz geschickt. Dort erhielt sie die Häftlingsnummer 44357, wurde als politische Gefangene eingestuft und dem Kommando 19 zugeteilt, zu dessen Aufgaben es gehörte, Gräben für Lagerbauten auszuheben.

Ende Juli 1944 wurde Lucyna Wojno in das Konzentrationslager Ravensbrück verlegt, wo sie ebenfalls als politische Gefangene eingestuft wurde. Dort musste sie im Außenlager Altenburg (das teilweise dem Konzentrationslager Ravensbrück und später dem Konzentrationslager Buchenwald unterstellt war) Zwangsarbeit leisten. Aus Dokumenten der Arolsen Archives geht hervor, dass sie bereits ab September 1944 im Konzentrationslager Buchenwald (Häftlingsnummer 27150) inhaftiert war, wo sie für die HASAG-Altenburg arbeiten musste.

 

Rückkehr nach Hause

Am 13. April 1945 wurde Lucyna befreit und fand nach ihrer Rückkehr ins zerstörte Warschau ihre Tante wieder, die sie nicht erkannte. Fast ihr ganzes Leben lang arbeitete sie als Schneiderin – sie hatte ein Talent zum Nähen. Im Jahr 1949 brachte sie ihren Sohn Jerzy zur Welt und nähte seine Kleidung selbst. Bei Annas Besuch in Sopot, wo Lucyna heute lebt, zeigt sie Fotos aus dieser Zeit. Auf die Frage, was ihr die Kraft gab, die Verfolgung während des Krieges zu überleben, antwortet sie: der Schutz Gottes.

Schicksal in den Arolsen Archives dokumentiert

Lucyna Wojno bat die Arolsen Archives 1975 zum ersten Mal, ihren Aufenthalt in den Konzentrationslagern zu bestätigen. Die Recherche ergab, dass sich in unserer Sammlung zahlreiche Dokumente befinden, anhand derer sich ihr Schicksal recht genau rekonstruieren lässt – unter anderem die Karte des Arbeitseinsatzes im Konzentrationslager Buchenwald, die Häftlingspersonalkarte aus dem Konzentrationslager Buchenwald und die Effektenkarte.

 

Häftlingspersonalkarte von Lucyna Wojno

 

Lucynas Name findet sich auch in der nummerierten Kartei der weiblichen Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald, in der Liste der Transporte in das Konzentrationslager Buchenwald, in der Liste der Häftlinge, die im Kommando Altenburg des Konzentrationslagers Buchenwald ankamen, und in den Geldlisten der Häftlinge des Konzentrationslagers Auschwitz und Ravensbrück. Jerzy Wojno hat kürzlich beantragt, die Bestände des Archivs zu überprüfen. Kopien aller in den Arolsen Archives aufbewahrten Dokumente haben ihren Weg in das Familienarchiv gefunden. Sowohl Lucyna als auch Jerzy waren überrascht, dass so viele Spuren gefunden wurden.

Im Februar 2022 besuchten wir Lucyna in ihrem Zuhause. Am 23. Juni 2022 starb sie im Alter von 104 Jahren.

Wenn Sie herausfinden möchten, ob die Arolsen Archives Dokumente über Ihre Verwandten aufbewahren, füllen Sie bitte unser Online-Formular aus.

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