„Mehr als nur die Namen“
Ute Hoffmann ist seit 1988 Leiterin der Gedenkstätte Bernburg, die an den nationalsozialistischen Massenmord an Kranken und Behinderten erinnert. Anfang November recherchierte sie vier Tage beim International Tracing Service (ITS). Die Tötungsanstalt Bernburg befand sich auf dem Gelände der damaligen Landes-Heil- und Pflegeanstalt und war eine von sechs Gasmordanstalten der Nationalsozialisten. Nach August 1941 wurde Bernburg einer der drei Standorte für die sogenannte „Sonderbehandlung 14 f 13“, der Tausende von KZ-Häftlingen zum Opfer fielen. In Bernburg wurden Häftlinge aus den Konzentrationslagern Buchenwald, Flossenbürg, Groß-Rosen, Neuengamme, Ravensbrück und Sachsenhausen ermordet.
Wonach recherchieren Sie im Archiv des ITS?
Ich bin hier, um Informationen über die KZ-Häftlinge zusammenzutragen, die im Rahmen der „Sonderbehandlung 14 f 13“ in der Gasmordanstalt Bernburg getötet wurden. Wir planen eine neue Dauerausstellung in der Gedenkstätte, bei der ich mehr als nur die Namen zeigen möchte.
Insgesamt haben die Nationalsozialisten in der Tötungsanstalt Bernburg mehr als 14.000 Menschen umgebracht. Wie viele davon waren KZ-Häftlinge?
Das waren ungefähr 2.500 Menschen. Die Namen kennen wir von Transportlisten.
Welche Art von Dokumenten schauen Sie sich an?
Ich habe mir zunächst einen Überblick über die Bestände zu den Konzentrationslagern Flossenbürg, Sachenhausen, Neuengamme und Buchenwald verschafft und nun damit angefangen, die Namenslisten auf der Suche nach individuellem Material abzuarbeiten. Nach Briefen zum Beispiel, aber auch nach Todesurkunden mit den falschen Angaben zu Todesdaten und den angeblichen Todesursachen wie Lungenentzündung oder Ruhr. Dort sind häufig zusätzliche Angaben zur Person verzeichnet. Und dann sind hier ja auch die die Anfragen, die nach 1945 an den ITS gerichtet wurden, mit den Angaben der Angehörigen.
Haben Sie schon interessante Dokumente für Ihr Projekt gefunden?
Ja, bei persönlichen Unterlagen aus dem Konzentrationslager Buchenwald habe ich schon einiges gefunden: Briefe, die sehr privat sind, in denen man die Menschen wiederfindet. Denn es geht nicht um Namen, sondern um Menschen. Sie wurden vermisst, geliebt, und die Angehörigen haben versucht zu helfen, zum Beispiel durch Auswanderungsbescheide.
Welche Verfolgtengruppen wurden aufgrund der „Sonderbehandlung 14 f 13“ nach Bernburg gebracht?
Aus dem Konzentrationslager Buchenwald war eine verhältnismäßig große Anzahl jüdischer Männer dabei, aus Ravensbrück dagegen viele Angehörige der Sinti und Roma. Manchmal stehen auf den Unterlagen auch Kommentare wie „deutschfeindliches Verhalten“ oder „falsche Angaben zu arisch und nichtarisch“. Es waren alle betroffen, die für dieses System außerhalb der „Volksgemeinschaft“ standen: Homosexuelle, sogenannte „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“, Zeugen Jehovas – das ganze Spektrum der Verfolgten.
Ich teile nicht die These, dass die „Sonderbehandlung 14 f 13“ die Fortsetzung der „Euthanasie“ gewesen sei. Manchmal wird sie sogar als „Häftlings-Euthanasie“ bezeichnet. Dem kann ich nicht folgen. Denn die Gutachter gingen nicht nur nach den Selektionskriterien Krankheit und Erschöpfung vor, sondern auch nach rassischen und politischen Gründen. Die „Sonderbehandlung 14 f 13“ gehört leider noch zu den unbekannteren NS-Verbrechen.
Welche Schwerpunkte wollen Sie in der neuen Dauerausstellung setzen?
Ich möchte gerne neben dem Gedenken an die Opfer den Blick auf die Täter richten und auch darauf, wie die Nachkriegsgesellschaft nach 1945 mit diesen Verbrechen umgegangen ist. Was die Täter der „Euthanasie“ kennzeichnet, ist ein unglaubliches Fehlen von jeglichem Schuldbewusstsein gegenüber der Opfergruppe von Kranken und Behinderten, von denen in den Jahren 1939 bis 1945 rund 75 Prozent getötet wurden. Der Arbeitstitel der Ausstellung heißt „Ich habe doch nichts Böses getan“. Das ist ein Zitat aus der Aussage einer Schreibkraft aus Bernburg. Und zur fehlenden Aufarbeitung der Verbrechen: Die Zwangssterilisierten standen nach 1945 den gleichen Ärzten gegenüber, die vorher ihre Sterilisation durchgesetzt hatten. Deren Meinung hatte sich nicht geändert. Und überlebende Patienten und Patientinnen standen wieder den gleichen Gutachtern gegenüber, die vorher über Leben und Tod entscheiden hatten. Das möchte ich auch zeigen.
Planen Sie, Ihre Recherchen beim ITS fortzusetzen?
Das wird meine letzte große Ausstellung, ich arbeite und forsche seit 28 Jahren für die Gedenkstätte Bernburg. Mein Ziel ist es, so viel heranzuschaffen, wie es irgendwie geht, damit später auf dieser Basis weitergearbeitet werden kann. Deshalb wird dies definitiv nicht mein letzter Besuch sein. Ich denke, dass ich spätestens im nächsten Frühjahr wiederkommen und so lange bleiben werde, bis ich alles durchgesehen habe, was für mich relevant ist.
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