Dagmar Lieblová hat als einzige ihrer Familie das Ghetto Theresienstadt und das Konzentrationslager Auschwitz überlebt. Am vergangenen Wochenende hat sie vor rund 60 Gästen in der Synagoge in Vöhl über ihr Schicksal gesprochen und aus ihrem Buch „Jemand hat sich verschrieben – und so habe ich überlebt“ gelesen. Die Lesung ist Teil einer Veranstaltungsreihe, die der Förderkreis der Synagoge Vöhl und Kooperationspartner aus der Region Nordwaldeck organisieren. Der International Tracing Service (ITS) unterstützt diese Reihe und übergab Dagmar Lieblová Kopien von Dokumenten, die im Archiv des ITS über ihre Inhaftierung aufbewahrt werden.

Das Leben in Kutná Hora

Dagmar Lieblová wurde am 19. Mai 1929 in der tschechischen Stadt Kutná Hora geboren. Bis zum Einmarsch der Deutschen lebte sie mit ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester Rita ein normales Leben. „Wir waren eine jüdische Familie, aber das spielte zu der Zeit keine Rolle“, erzählt Lieblová. Der Vater Julius praktizierte als Arzt, die Mutter Irena versorgte den Haushalt. Dass etwas Schreckliches geschehen war, begriff die damals 9-Jährige als ihr Vater – ein überzeugter tschechischer Patriot – sie am 15. März 1939 mit Tränen in den Augen weckte und sagte: „Unsere Republik gibt es nicht mehr.“

Transport nach Theresienstadt und Auschwitz

Am 5. Juni 1942 wurde die Familie von Kolin nach Theresienstadt deportiert. Lieblová erinnert sich: „Schon seit Beginn der ersten Deportationen im Oktober 1941 gab es nur ein einziges Thema, und zwar die Vorbereitung auf Theresienstadt, die Vorbereitung auf den Transport. Um eine Puppe oder einen Teddy mitzunehmen, war ich schon zu groß. Unser Vater erlaubte meiner Schwester und mir, ein Buch mitzunehmen.“ Im Ghetto wurde die Familie erstmals getrennt. Die Kinder blieben bei der Mutter, der Vater wurde in der Männerkaserne untergebracht. Obwohl es strengstens untersagt war, dass Mädchen und Jungen unterrichtet wurden, hatten Betreuerinnen des sogenannten Mädchenheims den Mut, die Jugendlichen auf das künftige Leben vorzubereiten. „Jede von uns hat ihre Stelle im Leben gefunden – wir haben nicht versagt, dank dieser Frauen“, so Lieblovà während ihrer Lesung. In Theresienstadt lernte sie ihre Freundin und spätere Weggefährtin Dagmar Friedová kennen.

„Unsere größte Angst im Ghetto war die Deportation ‚in den Osten‘“, erzählt Dagmar Lieblovà. Nach eineinhalb Jahren, am 15. Dezember 1943, traf es ihre Familie: Ohne Selektion kam die Familie in das sogenannte Familienlager von Auschwitz-Birkenau. Die 15-Jährige dachte, dass sie in ihrem Leben nie mehr etwas anderes sehen würde als Stacheldraht und Barackenblöcke.

„Meine Eltern und meine Schwester sah ich nie wieder.“

Anfang Juli 1944 ordnete die Lagerleitung an, dass arbeitsfähige Männer und Frauen in ein Lager nach Deutschland geschickt werden sollten. Dies betraf Frauen zwischen 16 bis 40 Jahren, doch ein Schreibfehler in Dagmars Geburtsdatum machte sie um vier Jahre älter und zwang sie somit zur Selektion. „Meine Mutter hätte sich freiwillig melden können, doch wollte sie meine jüngere Schwester nicht verlassen. Ich verließ Auschwitz-Birkenau. Meine Eltern und meine Schwester sah ich nie wieder.“

Auch ihre Freundin aus Theresienstadt wurde zur Zwangsarbeit nach Hamburg verschleppt. In drei verschiedenen Außenlagern des KZ Neuengamme wurden sie zu Aufräumarbeiten der zerstörten Stadt gezwungen. Im Frühling 1945 gab es einen großen Luftangriff. Die Häftlinge wurden zuerst nach Celle verfrachtet, dann auf einem der sogenannten Todesmärsche in das KZ Bergen-Belsen geschickt. Am 15. April 1945 befreite die britische Armee das Lager. Drei Monate später kehrte die an Tuberkulose erkrankte Dagmar Lieblová zurück nach Tschechien und verbrachte über zwei Jahre in einem Sanatorium.

Dokumente im Archiv des ITS

Anna Meier-Osiński, Leiterin der Abteilung Auskunftserteilung zu NS-Verfolgten beim ITS, übergab nach der Veranstaltung Kopien der im ITS-Archiv verwahrten Dokumente über Dagmar Lieblovás Schicksal, darunter eine Karteikarte über die Transporte nach Theresienstadt und Auschwitz sowie zahlreiche Befreiungslisten, auf der ihr Name erscheint. Den ITS kennt die Überlebende aus ihrer Arbeit als Vorsitzende der „Theresienstädter Initiative“, die sie 1990 mitgegründet hat.

Mit der Veranstaltungsreihe „Auschwitz“ möchten der Förderkreis der Synagoge Vöhl und Kooperationspartner aus der Region an die in Auschwitz ermordeten Jüdinnen und Juden aus Waldeck-Frankenberg erinnern. Der ITS hat die Reihe mit Informationen, Recherchen und Dokumenten unterstützt. Weitere Informationen zu den kommenden Veranstaltungen finden Sie hier.

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