Die Kölner Filmemacherin Carmen Eckhardt recherchierte über einen Zeitraum von vier Jahren die Umstände und Gründe, warum ihr Urgroßvater Viktor Kunz von den Nationalsozialisten hingerichtet wurde. Seine Biographie, ihre eigene Suche und den teils schwierigen Gang durch deutsche Institutionen dokumentierte sie in dem Film „Viktors Kopf“, den sie am 13. September 2016 beim International Tracing Service (ITS) in Bad Arolsen vorführte. Im Interview spricht Carmen Eckhardt darüber, wie das Schweigen über das Schicksal des Urgroßvaters in ihrer Familie nachwirkte.

Sie sagen in ihrem Film, dass Sie Angst vor der Suche nach der Wahrheit hatten. Was haben Sie befürchtet?

Carmen Eckhardt: Ich wusste von Anfang an, dass ich keinen Rückhalt in meiner Familie haben würde. Einige Familienmitglieder wollen nichts davon wissen. Es ist immer noch kompliziert, und es gab ja Gründe, weshalb sie geschwiegen haben. Das ist in vielen Familien so, bei denen es Traumata aus der NS-Zeit gibt. Bis hin zu meinem Vater war unsere Familie sehr beschädigt. Ich hatte deshalb Angst vor dem einsamen Gang und auch davor, was ich finden würde. Für mich war es ein heilsamer Prozess, durch die Angst zu gehen, um herauszufinden, was sich als Belastung so stark durch die Familie gezogen hat.

Hatten Sie Sorgen, Ihr Urgroßvater hätte auch zu den Tätern gehören können?

Carmen Eckhardt: Nein, das nicht. Ich wusste schon zu Beginn meiner Suche, dass er im Widerstand gewesen ist. In meiner Familie war er für meinen Vater eine Art Held. Die anderen sprachen über ihn nur hinter vorgehaltener Hand.

Er war ein hochpolitischer Mensch. Kann das eine Rolle gespielt haben?

Carmen Eckhardt: Georg Viktor Kunz war zeitweise Kommunist, sympathisierte mit den Anarchisten, war letztlich in keine Schublade zu stecken. Ja, er war suspekt.

Wie haben Sie von seinem Schicksal erfahren?

Carmen Eckhardt: Ein Cousin meines Vaters hatte vor Jahrzehnten beim ITS angefragt und auch von der Hinrichtung erfahren. Ihn hatte ich gefragt. Deshalb war der ITS meine erste Station auf der Suche. Ich weiß nicht, ob ich das Ganze begonnen hätte – ohne diesen Ausgangspunkt.

Was haben Sie über Auswirkungen auf die Familie erfahren?

Carmen Eckhardt: Mich hat das Schicksal meiner Urgroßmutter bewegt. Als Frau von Viktor Kunz war sie mit ihren Kindern in der Nazizeit spätestens nach der Hinrichtung 1943 stigmatisiert. Nach 1945 lebte sie von der Wohlfahrt, die Kinder hatten praktisch keine Chancen für einen gesellschaftlichen Aufstieg. Dagegen hat die Witwe von Roland Freisler, dem Präsidenten des Volksgerichtshofes, der Viktor Kunz zum Tode verurteilt hatte, 1974 von der Kriegsopferfürsorge eine Rentenerhöhung von monatlich 400 Mark erhalten. Freisler war während eines US-Luftangriffs im Februar 1945 gestorben. Sie erhielt die Erhöhung, mit der Begründung, dass ihr verstorbener Mann auf Grund seiner fachlichen Qualifikation nach dem Krieg vermutlich als Rechtsanwalt oder Beamter des höheren Dienstes tätig geworden wäre.

Der Film zeigt, dass Sie nicht überall mit offenen Armen empfangen wurden. Empathie war in manchen Fällen ein Fremdwort.

Carmen Eckhardt: In den Archiven war das kein Problem. Im Bundesarchiv und den Landesarchiven habe ich viel Unterstützung bekommen. Auch beim ITS war die Mitarbeiterin, die mir Dokumente gezeigt hat, sehr zugewandt und freundlich. Anders war es in Institutionen, die selbst belastet waren. Dort haben die heute Zuständigen eine starke Abwehrhaltung gezeigt. Zum Beispiel im Anatomischen Institut der Universität Tübingen, in dem die Körper der Hingerichteten, darunter mein Urgroßvater, für die Präparierkurse der Medizinstudenten verwendet wurden. Der Institutsleiter redete sich auf die Zeitumstände hinaus. Dass sich ja nicht nur seine Vorgänger, sondern die ganze Zunft der Anatomen damals mitschuldig gemacht haben, dazu konnte oder wollte er nichts sagen. Obwohl ich versucht habe, ihm eine Brücke zu bauen.

Ihr Film zeigt den Weg, den Sie gegangen sind, ganz buchstäblich auch Ihre Reisen im Zug. Haben Sie den Eindruck, dass Sie jetzt irgendwo angekommen sind?

Carmen Eckhardt: Ja, es ging mir darum Frieden zu finden, und das habe ich. Mein Besuch bei der Gedenkfeier für die Mitglieder der Résistance auf dem Gelände des ehemaligen KZ Natzweiler-Struthof im Elsass war ein Abschluss. Ich hätte das auch nicht zehn weitere Jahre durch mein Leben schleppen können. Es war beeindruckend, wie viel Hochachtung dort den alten Menschen entgegengebracht wurde – und auch mir. Ich habe ein Foto von Viktor Kunz dabei gehabt. Diese Zeremonie gab mir ein Gefühl von Rehabilitation für meinen Urgroßvater, das ich bei der deutschen Justiz nicht gefunden habe.

Wenn Sie sich für den Film „Viktors Kopf“ interessieren, finden Sie auf der Website des Projektes die nächsten Vorführtermine.

Einen kurzen Trailer können Sie hier ansehen.

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