Nachdem das Hitler-Regime besiegt war, wollte eine große Zahl der Holocaust-Überlebenden sowie der befreiten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter Europa verlassen. Neben Amerika standen Kanada und Australien ganz oben auf der Liste der erhofften Emigrationsziele. Wer fand eine neue Heimat in Übersee? Wann und auf welchen Schiffen verließen die Menschen das in Trümmern liegende Europa? Um Angehörigen diese Fragen schnell und einfach beantworten zu können, haben die Arolsen Archives zusammen mit Ancestry Passagierlisten online veröffentlicht. Darin lassen sich Informationen über rund 1,9 Millionen Menschen recherchieren, die nach 1945 nicht in ihre Heimatländer zurückkehren wollten oder konnten.

„Am 4. Dezember 1951 traf ich in New York ein. Jener Tag im Dezember war für mich ein schicksalhaftes Datum. Ein neues Leben sollte beginnen, das alte Leben ließ ich zurück“, erzählt Thomas Buergenthal in seiner Biographie. Seine Kindheit hatte er im Ghetto und in zwei Konzentrationslagern verbringen müssen. Er kam als 17-jähriger mit der „General Greenly“ nach Amerika. Dieses Militärschiff allein brachte insgesamt über 14.000 Emigranten auf den Kontinent.

»Die Passagierlisten sind als historische Quelle von unschätzbarem Wert. Sie sind Teil des UNESCO Weltdokumentenerbes und ermöglichen Einblicke in die Lebenswege einzelner Menschen. Zudem geben sie Auskunft über die Migration in der Folge des Zweiten Weltkriegs, zum Beispiel auch darüber, welche Gruppen emigrieren konnten und wem diese Möglichkeit verwehrt blieb.«

Floriane Azoulay, Direktorin der Arolsen Archives

Die meisten Auswanderer kamen mit einem der fast 400 Schiffe, die die Alliierten für die große Migrationsbewegung bereitgestellt hatten, manche sogar mit dem Flugzeug. Sie alle sind auf den Listen verzeichnet, die nun im Internet durchsucht werden können.

Die Partnerschaft mit Ancestry

Die Listen gehören zu den über 30 Millionen Dokumenten der Arolsen Archives, dem weltweit umfassendsten Archiv über Opfer der NS-Verfolgung. Die Institution verfolgt das Ziel, bis zum Jahr 2025 alle Dokumente online zu veröffentlichen und möglichst umfangreiche Recherche-Möglichkeiten zu bieten. „Dafür brauchen wir starke Partner“, erläutert Floriane Azoulay. „Mit unseren Mitteln würde es zu lange dauern, deshalb freuen wir uns sehr über diese neue Zusammenarbeit.“

Dank der Kooperation mit der bedeutenden Online-Plattform für Ahnenforschung erreichen die Passagierlisten nun ein großes weltweites Publikum, denn Ancestry hat über drei Millionen Nutzer und ist in mehr als 30 Ländern verfügbar. Zudem hat das Unternehmen die Mittel, große Bestände schnell und in guter Qualität zu indizieren. Das heißt, die digitalisierten Schiffslisten wurden von Ancestry mit Informationen wie Namen oder Datum verschlagwortet, sodass sie im Internet schneller und genauer durchsucht werden können.

Links: Ankunft der „SS Ernie Pyle“ mit jüdischen Auswanderern aus Europa im Hafen von New York am 2. Januar 1947.
Photo Credit: United States Holocaust Memorial Museum, courtesy of Sally Goldblum Wasserman

Unten: Displaced Persons verlassen Deutschland in die Vereinigten Staaten durch die Tore einer ehemaligen Marinewerft, die als Aufenthaltsort für Auswanderer aus Europa im Hafen von Bremerhaven genutzt wurde.
Photo Credit: United States Holocaust Memorial Museum, courtesy of Aviva Kempner 

Veröffentlichung in zwei Portalen

Im Rahmen der Partnerschaft werden die Listen nun sowohl von den Arolsen Archives als auch von Ancestry online veröffentlicht. Das Angebot ist auch bei Ancestry kostenlos zugänglich. „Über Ancestry können wir diese Dokumente einem großen Publikum zugänglich zu machen. Denn viele Familien, die nach den Wurzeln ihrer Herkunft suchen, kennen unser Archiv nicht“, so Floriane Azoulay.

Die Arolsen Archives haben im Jahr 2015 mit der Online-Stellung ihrer Bestände begonnen und zuletzt im Mai 2019 in einem neuen, modernen Online-Archiv 13 Millionen Dokumente aus Konzentrationslagern veröffentlicht. Nach und nach wird es möglich sein, Verfolgungsschicksale wie das von Thomas Buergenthal nachzuzeichnen und so die Erinnerung an die NS-Opfer zu bewahren. Seine Geschichte zeigt, dass in vielen Fällen die Emigration und Aufnahme in den USA zu einem glücklichen Neuanfang führte. Der heute 85-Jährige wurde Richter mit dem Schwerpunkt Menschenrechte. Er setzt sich aktiv dafür ein, dass das Wissen über die NS-Zeit und die Auswirkungen auf viele Millionen Menschen lebendig bleibt.

Über die Arolsen Archives

Die Arolsen Archives sind ein internationales Zentrum über NS-Verfolgung mit dem weltweit umfassendsten Archiv zu den Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus. Die Sammlung mit Hinweisen zu rund 17,5 Millionen Menschen gehört zum UNESCO-Weltdokumentenerbe. Sie beinhaltet Dokumente zu den verschiedenen Opfergruppen des NS-Regimes und ist eine wichtige Wissensquelle für die heutige Gesellschaft.

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