Neue Dauerausstellung zeigt die Geschichte der Arolsen Archives
Warum entstand in Bad Arolsen das umfangreichste Archiv über Opfer und Überlebende der NS-Verfolgung? Wie war ab 1945 die Suche nach den Vermissten organisiert? Und welche Informationen suchen Menschen heute? In der neuen Dauerausstellung „Ein Denkmal aus Papier“ bieten die Arolsen Archives Einblicke in die Arbeit der seit sieben Jahrzehnten andauernden Vermisstensuche und Dokumentation der nationalsozialistischen Verbrechen.
Die Ausstellung erzählt anhand von zahlreichen einzelnen Schicksalen, woher die Dokumente kamen, wie sie archiviert und schließlich zum UNESCO-Weltdokumentenerbe wurden. Zudem veranschaulicht sie, wie aus den Millionen Suchanfragen an die Institution eine ganz eigene wertvolle Dokumentation über die Folgen der Gewaltherrschaft entstand. Auch der Wandel im Umgang mit historischen Zeugnissen sowie mit den Opfern der nationalsozialistischen Verbrechen wird beim Besuch der Ausstellung deutlich. Der Ausstellungsname „Ein Denkmal aus Papier“ greift eine Formulierung des Überlebenden Thomas Buergenthal auf. Sie unterstreicht den Wert des Archivs als Ort der Wahrheit und Erinnerung.
»Die Aufarbeitung des Holocaust ist Teil unseres Selbstverständnisses, sie ist nicht verhandelbar.«
Monika Grütters, Staatsministerin für Kultur und Medien (bis November 2021)
„Die Ausstellung zeigt die Arbeit einer in ihrer Art und Verantwortung einmaligen Institution“, sagte Direktorin Floriane Azoulay anlässlich der Eröffnung am 18. Juni 2019. „Mit Blick auf nationalistische und antisemitische Gesinnungen sollte sie in der heutigen Gesellschaft eine aktive Rolle spielen und den Platz einnehmen, der ihrer Bedeutung gerecht wird: im Kreis von internationalen Partnern wie Yad Vashem in Israel und dem United States Holocaust Memorial Museum in den USA.“
Auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters hob in ihrer Rede die gesellschaftliche Bedeutung der Institution hervor: „Die Ausstellung zeigt eindringlich, wie die Arolsen Archives Menschen nach den grausamen Verbrechen der Nationalsozialisten wieder zusammengeführt oder ihr Schicksal aufgeklärt haben. Weil auch nachfolgende Generationen das tiefe Bedürfnis nach Gewissheit haben, bleibt diese Aufgabe nach wie vor wichtig. Die Aufarbeitung des Holocaust ist Teil unseres Selbstverständnisses, sie ist nicht verhandelbar. Da sich in den Arolsen Archives sowohl das erschreckende Ausmaß als auch die kaltblütige Systematik der NS-Verbrechen in aller Deutlichkeit zeigen, unterstützt der Bund die Weiterentwicklung der Einrichtung zu einem für alle Interessierten offenen Archiv.“
Anschauliche Präsentation eines riesigen Archivs
Ein Herzstück der Ausstellung ist die 26 Meter lange Installation eines kleinen Teils der heute archivgerecht verpackten Zentralen Namenkartei. Sie umfasst insgesamt rund 50 Millionen Hinweiskarten zum Schicksal von 17,5 Millionen Menschen. Die Besucher sehen nur einen Bruchteil davon: Ausgestellt sind 4500 der über 21000 originalen Karteikästen. Die Kartei war vor der Digitalisierung das wichtigste Arbeitsmittel und der Schlüssel zu den Dokumenten bei der Suche nach Informationen über NS-Opfer. Die riesigen Dimensionen des Archivs veranschaulichen auch drei große Papiertürme. Sie zeigen im Verhältnis zu bekannten Bauwerken und den höchsten Bergen Deutschlands und Europas, welche Höhen die Dokumentensammlungen erreichen würden, wenn man sie aufeinanderstapeln würde. Animierte Filme erklären den Besuchern die Arbeit der Institution. Sie zeigen zum Beispiel die Suche nach einem sowjetischen Zwangsarbeiter oder die Auskunft für das Entschädigungsverfahren einer Holocaust-Überlebenden.
Kritische Betrachtung der eigenen Geschichte
Mit dem Schwerpunkt „Offenheit versus Abschottung“ beleuchten die Arolsen Archives schließlich ihre eigene Geschichte im Kontext der gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Beispielsweise zeigt eine Collage von Zeitungsartikeln, warum die Institution ab Mitte der 90er Jahre in die Kritik geriet: Die Dokumente waren Forschern nicht zugänglich und Anfragen von Opfern wurden zu langsam bearbeitet. Internationale Proteste sorgten schließlich Ende 2007 für die Öffnung des Archivs und eine komplette Umstrukturierung der Institution.
Besuch der Ausstellung ab sofort
Die Ausstellung wird in Bad Arolsen in einem ehemaligen Kaufhaus in der Schloßstraße 10 unweit des Barockschlosses gezeigt und ist ab sofort dienstags bis samstags von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei. Öffentliche Führungen für Einzelbesucher in deutscher Sprache finden jeden ersten Mittwoch im Monat um 14 Uhr und in englischer Sprache jeden ersten Dienstag im Monat um 14 Uhr statt. Dafür können sich Interessierte anmelden unter: visitorgroup(at)arolsen-archives.org. Auch Führungen für Gruppen sind möglich und können unter dieser Adresse angefragt werden.
Über die Arolsen Archives
Die Arolsen Archives sind ein internationales Zentrum über NS-Verfolgung mit dem weltweit umfassendsten Archiv zu den Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus. Die Sammlung mit Hinweisen zu rund 17,5 Millionen Menschen gehört zum UNESCO-Weltdokumentenerbe. Sie beinhaltet Dokumente zu den verschiedenen Opfergruppen des NS-Regimes und ist eine wichtige Wissensquelle für die heutige Gesellschaft.