Die 87-jährige Johanna Aykens-Berens und ihr Sohn Janwillem Aykens aus dem niederländischen Amstelveen setzten sich nach der Nachricht vom International Tracing Service (ITS) direkt ins Auto. Es gebe eine Brieftasche ihres Angehörigen, den die Nationalsozialisten ins Konzentrationslager Neuengamme verschleppt hatten, im Archiv in Bad Arolsen. „Ich wollte sie persönlich abholen“, sagt Johanna Aykens-Berens. „Er war mein Bruder, so ein lieber Bub.“

Unfassbar sei für sie der Fund im Archiv des ITS, betonen die Niederländer. „Nach so langer Zeit.“ Die Effekte, eine Brieftasche mit Fotos, Briefen und Papieren, gehörte Johannes Wilhelmus Hendrikus Berens, geboren am 27. Januar 1924 in Rotterdam. Die Hinterlassenschaften zeugen von einem lebensfrohen Menschen: Fotos von Freundinnen und Schulkameraden, Briefe der Mutter, Mitgliedsausweise von Sportclub und Tanzverein. Bereits als 16-Jähriger hatte sich Berens zur Polizeischule gemeldet. Er wollte den Beruf seines Vaters erlernen. Doch geriet er in die Zeit der Besetzung der Niederlande durch die deutsche Wehrmacht.

Berens bewies Anstand und bezahlte dafür mit seinem Leben. „Er hat sich geweigert, an der Suche und Deportation von Juden mitzuwirken, die sich vor den Deutschen versteckten“, weiß seine Schwester. Am 16. September 1944 wurde der junge Polizist laut den Dokumenten im Archiv des ITS in das Polizeiliche Durchgangslager Amersfoort eingeliefert. Die Deportation ins KZ Neuengamme nach Deutschland erfolgte am 11. Oktober 1944. „Zum Arbeitseinsatz“, heißt es lapidar in den Unterlagen, Häftlingsnummer 56240. Am 16. Januar 1945 folgte der Transport ins Außenlager Meppen-Versen. Die letzte Station war das Außenlager Sandbostel. Berens erlebte noch die Befreiung, starb aber am 11. Mai 1945 an Tuberkulose. Sein Leichnam wurde zunächst beigesetzt auf dem Ausländerfriedhof I in Sandbostel und später dann überführt auf den Ehrenfriedhof (Nationaal Ereveld) im niederländischen Loenen bei Apeldoorn.

„Wir wussten die ganze Zeit nicht, wo mein Bruder war“, berichtet Johanna Aykens-Berens. Der damals 14-Jährigen fiel die Aufgabe zu, die Nachricht vom Tod ihres Bruders den Eltern zu überbringen. „Das war schwierig“, erinnert sie sich. Sie hatte seinen Namen auf einer Liste von Opfern gesehen, die 1945 im bereits befreiten Nijmegen auslag. „Das Geburtsdatum stand dabei. Es gab keinen Zweifel.“ Johannes war das älteste von drei Kindern gewesen. „Meine Mutter hatte immer ein freudiges Gemüt.“ Das habe ihr geholfen, den Verlust ihres Sohnes zu verkraften. „Sie ist 101 Jahre alt geworden.“

Voller Neugier schauen die beiden Niederländer die Hinterlassenschaften ihres ermordeten Angehörigen durch. Andächtig berührt Johanna Aykens-Berens das Leder des Portemonnaies. „Meine letzte schöne Erinnerung an ihn war das Geschenk eines Hockeyschlägers, das er mir machte.“ Aufgrund des Bombardements von Rotterdam, am frühen Nachmittag des 14. Mai 1940, gab es nur ein einziges Foto des Bruders in der Familie. „Ich wusste bis dahin doch gar nicht, was Krieg bedeutet“, berichtet die rüstige alte Dame. „Unser Haus wurde zerstört. Uns blieben nur die Sachen, die wir am Leib trugen.“

Mit der Brieftasche, die die Familie am 8. Dezember 2016 entgegennahm, gibt es nun auch ein Foto, auf dem der Ermordete als kleiner Junge abgebildet ist. „Es ist gut etwas zu haben, sehen und anfassen zu können“, sagt Janwillem Aykens. Im kommenden Sommer will der Niederländer mit seinen beiden Söhnen zu den Gedenkstätten Neuengamme und Sandbostel fahren. „Das ist wichtig und interessant für meine Kinder. Ich möchte, dass sie über diese Zeit informiert sind.“

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