„Bei #StolenMemory können Studenten, Akademiker und die Öffentlichkeit aktiv mitwirken.“
Am 10. Januar fand die Eröffnung der ersten #StolenMemory Plakatausstellung in Italien statt, die bis zum 7. Februar in der Universität Ca‘ Foscari in Venedig zu sehen ist. Sie bildet den Schwerpunkt einer Veranstaltungsreihe von Konferenzen, Seminaren und Lesungen, die im Rahmen des Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust von Ca‘ Foscari organisiert wurden. Sara De Vido, Professorin für Internationales Recht und Initiatorin der Veranstaltungen, erzählt, warum es ihr ein persönliches Anliegen war, #StolenMemory in Venedig zu zeigen.
Sara, Sie haben die Plakatausstellung #StolenMemory nach Italien gebracht. Wie kam es zu dieser Idee?
Ich habe selbst eine Anfrage an die Arolsen Archives gestellt, denn ich suchte nach der Vergangenheit meines Großvaters. Er wurde während des Zweiten Weltkriegs in Deutschland inhaftiert, nachdem er verwundet von der russischen Front zurückgekehrt war. Er wurde an der Grenze gefangen genommen und deportiert, zur Zwangsarbeit gezwungen und konnte erst nach 1945 nach Hause im Nordosten Italiens zurückkehren. Eines Tages saß er im Garten vor seinem Haus, extrem dünn und erschöpft. Seine Familie hatte ihn für tot gehalten. Doch er überlebte und baute sein Leben auf soliden Prinzipien auf. Er hat sich immer an einige Worte auf Deutsch erinnert. Eine Entschädigung hat er nie erhalten. Mitarbeiter*innen der Arolsen Archives schickten mir Kopien von Dokumenten, aus denen hervorgeht, dass er sich von 1943 bis 1945 im Stalag IB befand.
Und bei Ihrer Recherche stießen Sie dann auf das Projekt #StolenMemory?
Beim Durchsehen der tollen Website der Arolsen Archives fand ich die Ausstellung #StolenMemory und dachte, sie sei perfekt für Ca‘ Foscari. Unsere Student*innen können anhand von den hier gezeigten Gegenständen verstehen, wie wichtig es ist, sich an die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs zu erinnern. Was ihnen am meisten auffällt, ist die Tatsache, dass diese Gegenstände zum täglichen Leben der Menschen gehörten. Leben, die oft völlig zerstört, vernichtet wurden. Diese Gegenstände hatten die Menschen bei sich, als sie flohen oder als sie gefangen genommen wurden: eine Uhr, ein Foto, Schulzeugnisse. Man kommt nicht umhin, über die Verfolgung dieser Zeit nachzudenken.
»Die Ausstellung #StolenMemory ist stark und bewegend, denn sie vermittelt wirkungsvoll die Tragik, die sich alltäglich in den Konzentrationslagern abgespielt hat. Der Wert der Erinnerung daran ist unbezahlbar, umso mehr, als wir heute erleben, wie Rassismus und Hass wiederauftauchen.«
Prof. Michele Bugliesi, Rektor der Ca’ Foscari Universität
Sind Sie der Meinung, dass Ausstellungen dieser Art gerade auch jüngeren Generationen einen Zugang zur Auseinandersetzung mit der NS-Verfolgung bieten können?
Ja, absolut. Wir müssen die Erinnerung daran bewahren. Sie kann jungen Menschen dabei helfen zu reflektieren, Fragen zu stellen, nichts als selbstverständlich anzusehen. Antisemitismus und Hass aufgrund von Religion und Ethnizität sind wieder da und sie dürfen niemals „normalisiert“ oder gerechtfertigt werden. Jede Form von Diskriminierung muss verurteilt und abgelehnt werden. Die Entwicklung der Menschenrechtsgesetzgebung nach dem Zweiten Weltkrieg war entscheidend, aber es reicht nicht aus, wenn man sich nicht erinnert. Deshalb bin ich den Arolsen Archives sehr dankbar, dass sie uns geholfen haben, diese außergewöhnliche Ausstellung vorzubereiten, die bereits ein positives Feedback erhalten hat.
Welches Feedback gab es?
Zum einen hatten wir etwa 100 Teilnehmer bei der Eröffnungskonferenz der Ausstellung. An der Konferenz nahmen neben den Arolsen Archives auch Paolo Gnignati, der Präsident der jüdischen Gemeinde in Venedig, der Direktor unserer Universität Michele Bugliesi und Luisella Pavan-Woolfe, Direktorin des Büros des Europarates in Venedig, teil. Darüber hinaus wurde in vielen Medien über uns berichtet, sogar in einem Beitrag des nationalen Fernsehens RAI, der in ganz Italien ausgestrahlt wurde. Wir freuen uns sehr, dass die Ausstellung einen solchen Anklang hat.
Ihre Studentinnen und Studenten waren sehr in dem Projekt involviert und haben viel bei den Vorbereitungen geholfen. Wie genau sah ihre Arbeit aus?
21 Studentinnen begannen bereits im Oktober mit den Vorbereitungen, hauptsächlich Übersetzungen, aber auch einige Recherchen zum Thema. Sie bereiteten die Broschüren vor, um für die Veranstaltungen zu werben und erarbeiteten zusammen mit IVESER, dem Zentrum für „Resistenza“ in Venedig, die drei Plakate über die italienischen Konzentrationslager. Wir haben einen Monat lang Programm, währenddessen nehmen die Studenten an Workshops und Konferenzen teil. Morgen interviewen wir gemeinsam einen ehemaligen italienischen Militärinternierten. Er wird dieses Jahr 100 Jahre alt! Wir werden auch einen kleinen Film vorbereiten.
Ein großer Teil der Arbeit der Studentinnen und Studenten sind allerdings die Führungen durch die Ausstellung: Wir erhalten täglich Anfragen. Am 27. Januar zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust haben wir acht Klassen, die aus verschiedenen Städten kommen, zu Gast.
Es ist für uns alle ein großer Erfolg, und die Studentinnen und Studenten machen einen tollen Job!