Im November 2020 veranstalten die Arolsen Archives in Potsdam die Fachtagung „Deportationen im Nationalsozialismus – Quellen und Forschung“. Akim Jah, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Forschung und Bildung zu den Organisatoren zählt, spricht im Interview über den Hintergrund, den Stand der Forschung und die Ziele der internationalen Konferenz.

Wie kommt es, dass Deportationen das Thema der nächsten großen Fachtagung der Arolsen Archives sein werden?

Ein Anlass ist sicherlich, dass wir uns auf neu erschlossene Quellen aus den Arolsen Archives beziehen können. Mehrere Bestände, darunter die neu gescannten Berliner Transportlisten und Dokumente der Jüdischen Gemeinde Leipzig, werden in Kürze im Vorlauf der Konferenz in unserem Online-Archiv veröffentlicht. Sie sind nun erheblich besser erschlossen und bieten Ansatzpunkte für neue Forschungsprojekte.

Sammlung der Arolsen Archives zu Deportationen

Die folgenden Sammlungen wurden neu indiziert und katalogisiert. Sie werden im Frühling 2020 im Online-Archiv der Arolsen Archives verfügbar sein. Wir unterstützen Forschungsprojekte, die sich auf diese Quellen beziehen. Weitere Informationen zu den Beständen, den Recherchemöglichkeiten und dem Zeitpunkt der Online-Veröffentlichung erhalten Sie bei der Katalogisierungsabteilung der Arolsen Archives unter catalog@arolsen-archives.org.

Zu den Sammlungen

Es fällt auf, dass schon im Titel der Veranstaltung Quellen als Thema auftauchen. Weshalb?

Nun, die Quellenlage ist ebenso wie die Forschung selbst auf einem sehr unterschiedlichen Stand: Für manche Transporte, Zeiträume, Personengruppen und Orte gibt es eine umfangreiche Dokumentation. Für andere kaum. Manche Quellen – wie zum Beispiel eine große Zahl von Dokumenten aus unserem Archiv – sind bereits digital online einsehbar. Es gibt aber auch noch Bestände, die bislang nicht systematisch ausgewertet wurden, weil sie in wenig bekannten Archiven aufbewahrt werden. Es ist uns ein zentrales Anliegen, diese Quellenlage mit Blick auf die Erkenntnispotentiale und digitale Erschließungsprojekte zu beleuchten.

Auch für weiterführende Fragen ist die Quellenlage sehr unterschiedlich. Wenn es zum Beispiel um Sammellager geht oder die erzwungene Mitwirkung der Jüdischen Gemeinden, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Um welche Schwerpunkte geht es im Bereich der Forschung zu Deportationen?

Wir knüpfen inhaltlich an eine Tagung vom vergangenen Juni an. Das Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien und die Österreichische Akademie der Wissenschaften hatten eingeladen, um Deportationen der jüdischen Bevölkerung im nationalsozialistischen Herrschaftsbereich zu beleuchten. Es war seit längerer Zeit das erste Mal, dass Deportationen der Gegenstand einer Tagung waren. Die Organisatorinnen der damaligen Tagung werden übrigens einen der Hauptvorträge halten und die Ergebnisse vom Juni zusammenfassen, damit wir darauf aufbauen können.

Eine Deportationsliste aus Berlin 

Und in Wien hat sich gezeigt, dass noch Forschungsbedarf besteht?

Ja, auf jeden Fall. Wir möchten im November vergleichende und systematisierende Forschung zur Diskussion stellen. Die Forschungssituation für einzelne Länder, Regionen und Städte präsentiert sich sehr unterschiedlich. Vergleichende Studien zwischen Deportationen mit dem ultimativen Ziel der Ermordung und anderen nationalsozialistischen Massentransporten, wie nach der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes, fehlen bislang ebenso wie eine zusammenhängende Darstellung der Deportationen als zentrales Strukturelement nationalsozialistischer Verfolgungs- und Vernichtungspolitik. Viel Forschungspotential sehen wir auch hinsichtlich des Porajmos, also des nationalsozialistischen Völkermordes an den Sinti und Roma. Die Deportationen sind hier viel weniger untersucht worden als im Zusammenhang des Holocaust.

Sind Deportationen ein Thema, das nur für die Wissenschaft stärker im Fokus steht?

Nein, das Thema ist in der Öffentlichkeit präsent. Nicht nur durch die Stolpersteine und nicht nur in Deutschland. Zum Beispiel in den Ankunftsorten der Deportationen, auch an den kleineren Orten, da passiert etwas. Gedenkstätten entstehen bzw. werden weiterentwickelt und es wird intensiv geforscht. Im Sinne einer Verknüpfungsgeschichte sind diese Orte im Baltikum oder Weißrussland mit den Deportationen aus dem Deutschen Reich eng verbunden. Wenn die Transporte aus Berlin, Frankfurt oder München in den Ghettos ankamen, wurde die einheimische jüdische Bevölkerung ermordet. Solche Zusammenhänge werden heute stärker gesehen.

Zurück zur Tagung: Der Call for Papers läuft derzeit. Was für Einsendungen erhofft Ihr Euch?

Wie schon gesagt, es geht uns um systematisierende und vergleichende Fragestellungen, keine regionalen Studien. Und um ebenso systematisierende Darstellungen von Quellen und Erschließungsprojekten. Wir möchten interessante thematische Panels für ausgewählte Schwerpunkte anbieten. Die Tagung richtet sich ausdrücklich an Archivare und Archivarinnen sowie Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen.

Bis wann kann man sich bewerben?

Bis zum 30. April. Interessant ist zudem, dass auch Bewerbungen mit Panels möglich sind, also mit Vorträgen, die sich aufeinander beziehen.

Wo wird die Konferenz stattfinden?

Sie findet in der Akademie der Deutschen Bahn in Potsdam im Kaiserbahnhof statt. Dieser Veranstaltungsort ist wegen der inhaltlichen Nähe zum Thema spannend. Es freut uns sehr, dass die Deutsche Bahn die Veranstaltung zudem auch finanziell unterstützt, so dass wir Reise- und Übernachtungskosten für die Beitragenden erstatten können.

Wird es eine Dokumentation geben?

Ja, Beiträge der Tagung werden in einem Konferenzband dokumentiert.

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