Christiane Weber realisiert seit Mai 2017 beim ITS als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Forschung und Bildung das e-Guide-Projekt. Dafür recherchierte sie die historischen Hintergründe von Dokumenten aus Konzentrationslagern. Im Interview spricht sie über die spannenden Recherchen und den Nutzen des ITS e-Guides.

Sie haben mit einem Team für den International Tracing Service die Dokumente und ihre Kontexte recherchiert. Das klingt interessant!

Tatsächlich war die Arbeit am e-Guide ein wenig wie Detektivarbeit. Immer mussten wir genau die Personen oder historischen Dokumente finden, die eine Antwort geben oder weiterhelfen konnten. Man kann sich kaum vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn man nach mehreren Tagen, Wochen oder sogar Monaten zum Beispiel herausfindet, was ein G oder Z auf einer Kleiderkammerkarte bedeutet.

Was bedeutet es denn? Und wie hilft das den künftigen Nutzern des ITS e-Guides?

Diese kleinen und einfachen Buchstaben G und Z stehen für Gefangenen- und Zivilkleidung. Das heißt, dass zum Beispiel ein Nachkomme eines KZ-Häftlings entschlüsseln kann, welche Kleidung der eigene Vater oder die Großmutter tragen mussten. Dies ist einerseits eine sehr persönliche Information. Andererseits erlaubt sie aber auch allgemeinere Erkenntnisse: Zum Beispiel zeigen diese zwei Buchstaben den Schülern in unseren Workshops, wie sich das System der Kleidervergabe mit der Zeit veränderte. Je länger der Krieg dauerte, umso knapper wurde nämlich die gestreifte Gefängniskleidung, die wir heute meist mit KZ-Häftlingen assoziieren. Stattdessen mussten immer mehr Gefangene die Zivilkleidung von verstorbenen Mithäftlingen oder ermordeten Juden und Jüdinnen tragen. Es ist unglaublich, was ein Buchstabe über das Schicksal eines Menschen aussagen kann – und genau dafür liefert der e-Guide die Beschreibungen.

Sind sich auch Nicht-Historiker über die Bedeutung dieser vermeintlichen Kleinigkeiten bewusst?

Da bin ich mir absolut sicher. In allen Abteilungen des ITS merken wir anhand der Rückfragen, dass das Interesse und auch das Bewusstsein da sind, dass die Karten Geschichten über Menschen erzählen. Außerdem gibt es neben diesen vermeintlichen Kleinigkeiten ja auch die größeren Einordnungen, die man im ITS e-Guide aktiv kennenlernen kann.

Sie meinen die historischen Kontextualisierungen?

Ja. Uns ist es erstmals gelungen, das Wissen zusammenzubringen, das in den Köpfen und den Schreibtischschubladen vieler Menschen verteilt ist. Und wir freuen uns über weitere Zuträger, denn der e-Guide soll wachsen. Daher haben wir auch sehr bewusst eine digitale Präsentationsform gewählt, da sie zahlreiche Möglichkeiten bietet, neues oder sich veränderndes Wissen zu integrieren.

Eine letzte Frage: An wen richtet sich der ITS e-Guide?

Das ist leicht zu beantworten: Tatsächlich richtet sich der e-Guide an jeden, der sich für Dokumente von Verfolgten und deren Bedeutung interessiert. Wir haben darauf geachtet, möglichst viel Hintergrundwissen einzubauen, damit jeder etwas von dem ITS e-Guide hat – von Archivbesuchern in Arolsen oder bei einer unsere Partnerorganisationen über Jugendliche, die im Unterricht oder bei Gedenkstättenfahrten mit den ITS-Dokumenten in Berührung kommen, bis hin zu Angehörigen von Verfolgten, die beim ITS nach dem Schicksal ihrer Familienmitglieder anfragen. Keiner ist ausgeschlossen und alle sollen vom neuen Wissen im ITS e-Guide profitieren können.

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