Rund 16.000 Meter Dokumente, circa 244 Tonnen Gewicht, zwölf Mitarbeiter und 2675 Stunden Arbeit – das Weltdokumentenerbe des International Tracing Service (ITS) zieht um. Seit dem 8. Mai 2017 verpacken Fachkräfte die historisch wertvollen Dokumente und verladen sie in LKWs. Die rund 30 Millionen Originaldokumente und mehr als 50 Millionen Hinweiskarten der Zentralen Namenkartei des ITS kommen in ein Zwischenlager.

Die weltweit einzigartige Sammlung von Zeugnissen über Inhaftierung, Holocaust, Zwangsarbeit und die befreiten Überlebenden wartet dort auf ein neues Archivgebäude, das in den kommenden Jahren auf dem angrenzenden Gelände des ITS errichtet werden soll. Das dort zurzeit noch genutzte Gebäude in der Jahnstraße wird 2018 abgerissen.

Jahrzehntelang waren die Dokumente wichtigstes Arbeitsmaterial des ITS. Sie gaben Auskunft über Millionen von Schicksalen und die Dimensionen der NS-Verbrechen. Doch inzwischen ist das Archiv nahezu vollständig digitalisiert, die Mitarbeiter recherchieren inzwischen am Computer – Zeit, dem „Denkmal aus Papier“ einen modernen Schutz in archivgerechten und klimatisierten Räumlichkeiten zu geben. „Die Dimension des ITS-Archivs wird im Ausweichmagazin erstmalig sichtbar“, sagt ITS-Archivleiter Christian Groh. „Alle bisher an verschiedenen Standorten aufbewahrten Dokumente stehen dann kompakt auf einer Fläche.“

Für den Umzug ins Zwischenlager wurde eine Spezialfirma beauftragt, die sich mit Transporten von Archivgut auskennt. „Die Verlagerung eines Archivs ist eine besondere Aufgabenstellung“, bestätigt Logistiker Hans Peter Saal von der Berliner Firma Grohmann Logistik, der die Koordination des Umzugs übernommen hat. „Es handelt sich dabei nicht um eine klassische Transportleistung. Wir müssen die bestehende archivische Ordnung bewahren, damit alle Dokumente während der Neubauphase benutzbar bleiben. Schließlich können wir im Zwischenlager nicht mehr das Gedächtnis der ITS-Mitarbeiter nutzen, die blind ins Regal greifen konnten, wenn sie einen bestimmten Ordner suchten.“ Möchte ein Familienangehöriger etwa ein Originaldokument sehen, so muss dies auch trotz Digitalisierung möglich bleiben.

Zudem erfordern die historisch wertvollen Dokumente einen vorsichtigen Umgang. Herkömmliche Umzugskartons können nicht verwendet werden, da das empfindliche Papier nicht beschädigt werden darf. „Wir benutzen spezielle Umzugscontainer, die wie Regale aufgebaut sind. Jeder einzelne wird für den Transport in Folie eingeschweißt. Und bei besonders sensiblen Dokumenten, die nicht in Archivboxen verstaut sind, verwenden die Mitarbeiter der Umzugsfirma Handschuhe“, berichtet Saal.

Eine außergewöhnliche Herausforderung stellt der Umzug der Zentralen Namenkartei dar, in der Hinweise zu rund 17,5 Millionen Schicksalen der NS-Verfolgung gebündelt wurden. Dieser Teilbestand allein bringt es auf ein Gewicht von etwa 51 Tonnen. Die 29.000 offenen Schachteln mit den Karteikarten werden vor der Verlagerung in das Ausweichmagazin in geschlossene Archivboxen umgebettet. „Das eingesetzte Team faltet dafür jede einzelne Schachtel, beschriftet sie neu und füllt sie mit dem Inhalt der alten Schachtel - eine Mammutaufgabe“, berichtet Saal. „Reiht man die Schachtelinhalte gedanklich aneinander, ergibt sich eine Länge von 8.700 Metern.“ In Archivboxen verpackt nimmt die Zentrale Namenkartei im Zwischenarchiv dann künftig 2.030 Meter Länge im Regal ein. Voraussichtlich drei Jahre wird der ITS das Ausweichmagazin nutzen, bevor der Neubau an der Jahnstraße fertig gestellt sein wird.

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