85 Jahre Lebensborn: Arolsen Archives übernehmen Sammlung
Die Autorin und Journalistin Dorothee Schmitz-Köster recherchiert und publiziert seit vielen Jahren über die Lebensborn-Heime, in denen die SS Tausende „arische“ Kinder aufzog. Dabei legte sie ein umfassendes Archiv über dieses wenig bekannte Kapitel der NS-Rassenpolitik an. Ihre Sammlung haben die Arolsen Archives nun übernommen, um den wertvollen Bestand zu sichern und weitere Forschungen zu ermöglichen. Bei der Übergabe erklärte uns die Journalistin, warum die Geschichte der Lebensborn-Kinder noch längst nicht zu Ende erzählt ist.
Über hundert Zeitzeug*innen-Interviews, zahlreiche Fotos und persönliche Dokumente sowie die Aufzeichnungen der Autorin selbst von ihren Besuchen an den früheren Heimorten: Dorothee Schmitz-Kösters Sammlung dokumentiert die unfassbaren Schicksale der Lebensborn-Kinder und ergründet den Kern der mythenumrankten SS-Organisation. „Die Arolsen Archives besitzen bereits einen Großteil der erhaltenen Lebensborn-Originaldokumente“, erklärt Giora Zwilling, Leiter Archivische Erschließung. „Dass wir unsere Sammlung nun mit solch exzellent recherchierten Einzelschicksalen erweitern können, wird die Forschung darüber sehr bereichern.“
Was bedeutet Lebensborn?
„Rassisch und erbbiologisch wertvolle“ Kinder und ihre Mütter sollte der Verein Lebensborn laut Satzung unterstützen. SS-Führer Heinrich Himmler persönlich gründete ihn im Dezember 1935 als Reaktion auf die gesunkene Geburtenrate in Deutschland und auf eine angeblich hohe Zahl von Abtreibungen, die ledige „arische“ Mütter durchführen ließen. Am 15. August 1936 eröffnete im bayerischen Steinhöring das erste Lebensborn-Heim – ein sehr gut ausgestattetes Entbindungs- und Kinderheim. In ganz Deutschland, aber auch in Österreich und später im besetzten Norwegen, Belgien, Frankreich und Luxemburg folgten zirka 30 weitere dieser Heime.
Immer mehr Informationen
Bereits Mitte der 90er Jahre begann Dorothee Schmitz-Köster, über den Lebensborn zu recherchieren – zunächst am Heim „Friesland“ in der Nähe ihres damaligen Wohnorts Bremen. Bald weitete sie ihre Suche auf andere Heime aus, denn nach jeder Veröffentlichung meldeten sich mehr ehemalige Lebensborn-Kinder mit Informationen, aber auch mit vielen Fragen zu ihrer eigenen Vergangenheit. Bis nach Polen führten sie ihre Recherchen. So wurde die Autorin zur Expertin für die Geschichte des Lebensborn. Sie veröffentlichte vier Bücher sowie zahlreiche Rundfunk- und Printbeiträge über den Alltag in den Heimen und die Lebenswege zahlreicher Kinder.
In diesem Video-Interview befragen wir Dorothee Schmitz-Köster zu ihren Erfahrungen bei den Lebensborn-Recherchen und zu ihrer Entscheidung, ihre Sammlung den Arolsen Archives zu übergeben:
Dorothee Schmitz-Köster wollte bei ihren Recherchen immer möglichst viel Material sammeln, um die Stimmen und Geschichten der Zeitzeug*innen – von denen es immer weniger gibt – festzuhalten. Neben einem guten Überblick über die vielfältigen Einzelschicksale war es ihr dabei auch wichtig, mit den Mythen und Gerüchten rund um den Lebensborn als „Zuchtanstalt“ aufzuräumen:
»Ich möchte, dass die Menschen begreifen, was der Kern des Lebensborn ist. Das waren keine Bordelle, in denen arische Paare zusammengeführt wurden. Den Nazis ging es um ihre Rassenpolitik und um die Selektion bestimmter Kinder dafür.«
Dorothee Schmitz-Köster , Autorin und Journalistin
Vielfältige Recherchethemen
Ab 2010 recherchierte Dorothee Schmitz-Köster auch bei den Arolsen Archives. Eine Liste mit den Geburtsnamen und den Adoptivnamen von Lebensborn-Kindern half ihr, das tragische Schicksal von Klaus B. für ihr Buch „Raubkind. Von der SS nach Deutschland verschleppt“ aufzuklären. Aber auch ihre eigenen Recherchen ergaben einen so riesigen Fundus an Dokumenten und Zeitzeugenberichten, dass sie die darin enthaltenen Einzelthemen nach eigener Einschätzung kaum selbst jemals umfassend bearbeiten können wird. Deshalb sollen nun Historiker*innen, Journalist*innen, Hobbyforscher*innen und vor allem die jüngeren Generationen von ihrer Arbeit profitieren und über die Recherche-Angebote der Arolsen Archives darauf zugreifen können.