Alice Carlé lernte Eva Siewert 1938 kennen und lieben. Die Jüdin Alice wurde 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und hier vermutlich umgehend ermordet. Eva, die nach 1945 als Journalistin in Berlin tätig war, setzte ihrer Freundin in der unmittelbaren Nachkriegszeit in mindestens zwei Erzählungen ein berührendes Denkmal.

Alice Carlé wurde 1902 in Berlin in eine jüdische Familie geboren. Nach dem Schulbesuch ließ sie sich zur Büroangestellten ausbilden. Doch ist nicht bekannt, wo sie arbeitete. Ab etwa 1938 war sie genötigt, sich zusammen mit ihren Eltern und ihrer älteren Schwester Charlotte eine 2-Zimmer-Wohnung zu teilen. Offenbar mussten die beiden Schwestern die Eltern miternähren, da diese keine Rente erhielten.

Ebenfalls 1938 lernte Alice Carlé Eva Siewert (1907–1994), eine frühere Chefsprecherin von Radio Luxemburg, kennen und lieben. Siewert galt in der Diktion der Nazis als „Halbjüdin“.

 

Von Arbeitskolleginnen denunziert

Alice Carlé übernachtete häufig in der Wohnung ihrer Freundin, auch weil sie sich hier sicherer fühlte als „zu Hause“ bei den Eltern und der Schwester. Als Siewert um 1942 von Arbeitskolleginnen denunziert wurde, sie betreibe „Wehrkraftzersetzung“, indem sie antifaschistische Witze erzählte, wurde sie zu neun Monaten Gefängnis verurteilt. Sie trat die Gefängnisstrafe im März 1943 an. Dies hatte unmittelbare Folgen auch für Alice Carlé, die nun einer zentralen Schutzmöglichkeit beraubt war. 

Im Frühjahr 1943 entschieden sich Alice und Charlotte Carlé unterzutauchen. Ihre Eltern waren schon im Sommer 1942 nach Theresienstadt deportiert worden. Die Schwestern erhielten zunächst Unterkunft bei einer flüchtigen Bekannten und mieteten dann im Berliner Vorort Kladow ein Zimmer an. Dabei behaupteten sie, Ferien machen zu wollen. Dass sie Jüdinnen waren, teilten sie ihren Vermietern nicht mit.

 

Eva Siewert (1907–1994), Autogrammkarte aus den 1930er Jahren. (Quelle: Sammlung Wolfert)

Stolperstein, Alice Carlé, Beuthstraße 10, Berlin-Mitte, Deutschland. Copyright: OTFW, Berlin

Nach Auschwitz deportiert

Alice und Charlotte Carlé wurden am 10. September 1943 mit dem „42. Transport“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und hier vermutlich umgehend ermordet.

 

Die Schwestern standen während ihrer Zeit in Kladow in Kontakt mit dem illegalen Helferkreis um den Juristen und Widerstandskämpfer Franz Kaufmann (1886–1944), der sich bemühte, Alice Carlé falsche Ausweispapiere zu beschaffen. Charlotte Carlé benutzte bereits den Reisepass, den die flüchtige Bekannte ihr zuvor geschenkt hatte. Ein weiterer Bekannter versorgte sie mit Lebensmittelkarten. Doch Ende August 1943 wurden die beiden Schwestern Carlé von der Gestapo verhaftet. Ihre Kladower Adresse hatte sich in den Papieren von Franz Kaufmann befunden, als der Helferkreis um ihn infolge einer Denunziation aufflog.

Eva Siewert, die nach 1945 als Journalistin in Berlin tätig war, hat ihrer Freundin in der unmittelbaren Nachkriegszeit in mindestens zwei Erzählungen ein berührendes Denkmal gesetzt. Auch hat sie mehrfach versucht, Näheres über Alice Carlés Schicksal in Erfahrung zu bringen. 1957 wurde ihr von amtlicher Seite bestätigt, dass die Schwestern Carlé 1943 nach „Ziel unbekannt“ deportiert worden seien. Lapidar heißt es in dem Behördenschreiben: „Der weitere Verbleib der Genannten ist leider nicht festzustellen.“

Gastbeitrag von Raimund Wolfert (Skandinavist und freier Dozent)

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