Stefan Blaszkowski verbrachte fast zwei Jahre in Haft, weil ein deutscher Gestapo-Mann ihn beschuldigte homosexuell zu sein und von ihm beleidigt worden sei. Der reine Verdacht genügte, um Stefan zu verurteilen. Dieses Beispiel zeigt, dass Paragraf 175 auch in Fällen angewendet werden konnte, in denen es nicht um intime Beziehungen ging.

Am 25. August 1941 fand vor dem Landgericht in Poznań ein Prozess statt gegen Stefan Blaszkowski, geboren 1900 in Schmiegel, Kreis Kosten (Śmigiel, Kościan), wohnhaft in Poznań in der Kirschstraße 18/22 (Kościelna-Straße). Der Angeklagte wurde unter den Paragraph 175a, Abs. 4, und 185 angeklagt. Zunächst wurde gegen Stefan als männlichen Prostituierten ermittelt und weil hat einen Deutschen beleidigt haben soll, einen gewissen Köster.

Die Zeugenaussagen von Blaszkowski und Köster fehlen in der Akte – nur ein von den Vernehmungsbeamten aufgeschriebener Polizeibericht ist erhalten geblieben:

„Am 17. Juni 1941 hat der Angeklagte der Beduerfnisanstalt, welche sich am Wilhelmplatz (Plac Wolności – J.O.) in Posen unter dem Kaffee Arkadia befindet aufgesucht. Dort war auch Zeuge Koester, der als Beamter der Geheimen Staatspolizei am fraglichen Tage in Zivil war, jedoch das SS-Abzeichen trug. Als der Zeuge Koester die Beduerfnisanstalt verlassen hatte, kam der Angeklagte ihm nach und fragte ihn, wo er mit ihm hingehen wolle, hier koenne man doch nichts machen. Aus dem ganzen Verhalten des Angeklagten enthnahm der Zeuge Koester sofort, dass er es mit einem Homosexuellen zu tun habe. Der Angeklagte erklaerte noch, er wisse bei einem Polen ein Zimmer, wo sie ganz ungestoert waeren. Als der Zeuge Koester sich ablehnend verhielt, fragte der Angeklagte den Zeugen schliesslich, ob er vielleicht noch eine bessere Gelegenheit wuesste. Der Zeuge Koester verbrachte den Angeklagten hierauf zum 1. Polizeirevier, wo seine Verhaftung erfolgte.“

 

Aussage gegen Aussage

Während der Hauptverhandlung verteidigte sich Stefan Blaszkowski und behauptete, dass es umgekehrt war. Es war ein Deutscher, der einen Polen angegriffen hat. Erst lachte er ihn auf der städtischen Toilette „unverschämt“ aus und bot ihm dann – bereits draußen – eine Zigarette an. Er wollte die Genitalien des Mannes sehen, aber der Pole weigerte sich. Er wollte sich nicht auf der Straße exponieren, war aber bereit, sich unter günstigeren Umständen zu treffen.

Köster bestritt dies. Ihm zufolge war der Angeklagte ein Ärgernis. Und dies wurde als Beleidigung angesehen. Gleichzeitig beweise das auffällige Verhalten des Polen, so die Richter, dass dies nicht die erste derartige Situation in Blaszkowskis Leben gewesen sei und dass er wahrscheinlich regelmäßig solche Angebote mache: „Es muss aber beachtet werden, dass Angeklagte als Pole sich nicht gescheut hat, einen Deutschen, der ihm durch das Runenabzeichen sogar als Angehoeriger der SS bekanntlich war, zu homosexuellem Verkehr aufzufordern und gleichzeitig auf eine guenstige Gelegenheit im Zimmer eines Polen anzuspielen.“

 

Im Zuchthaus Rawicz aufgenommenes Foto von Stefan Blaszkowski. Copyright: Archiwum Państwowe w Poznaniu 

 

Das Verhalten des Polen, das als „Aufforderung zum homosexuellen Verkehr“ interpretiert wurde, war eines der mehrfach erwähnten Beispiele für die „Gefahr einer breiten Einflussnahme“. Die Kombination aus Beleidigungsvorwurf und § 175 bedeutete eine höhere Strafe. Gegen Blaszkowski sprach auch sein Versuch, die Schuld auf Köster zu schieben und sein Beharren darauf, seine eigene Unschuld zu beweisen. Folglich wurde die Zeit, die bis zum Tag der Verhandlung in Haft verbracht wurde (zwei Monate), nicht auf die Strafe angerechnet.

 

Ein Verdacht genügte

Das Auffälligste an Blaszkowskis Geschichte ist, dass Paragraf 175 auch in Fällen angewendet werden konnte, in denen es nicht um intime Beziehungen ging. Alles, was erforderlich war, war ein Verdacht auf „böse Absicht“. Es gibt hier keine Besonderheiten – es gibt vage Andeutungen, vage Untertöne, die sich während des Verhörs aufbauen, die sich zu harten Beweisen auswachsen, und vor allem ist der homosexuelle Charakter des zufälligen Treffens der beiden Männer eine Folge des spezifischen Ortes – einer Stadttoilette und der Interpretation eines Gestapobeamten. All dies reichte für die Strafverfolgung aus. Es war sehr wahrscheinlich, dass Blaszkowskis Version näher an der Wahrheit war. Vielleicht hat Stefan den Deutschen abgewiesen oder der Gestapo-Mann hat den Polen absichtlich provoziert. Kösters Vorteil war vor allem die Tatsache, dass er Stefan zur Polizeiwache brachte. Vielleicht kühlte er nach einiger Zeit ab und bekam Angst vor der Strafe, die einem SS-Mann für eine homosexuelle Beziehung drohte – erst recht bei einem Mann polnischer Herkunft.

 

Zwei Jahre Haft

Blaszkowski, von Beruf Schriftsetzer, bekannte sich zum katholischen Glauben. Er absolvierte sieben Klassen der Grundschule. Im Februar 1940 wurde er verwitwet. Sein Vater starb ein Jahr später. Er hatte zwei minderjährige Kinder – Christine (neun Jahre) und Witalis (fünf Jahre) und konnte sich einer sauberen Akte rühmen. Er arbeitete unter anderem im „Ostdeutschen Beobachter“ als Drucker. Nach Beendigung seiner Haftstrafe wollte er in seinen Beruf zurückkehren. Er schrieb in seinem Lebenslauf, dass er an einer Nierenerkrankung, einer Herzneurose, rheumatischen Schmerzen und einer Sehschwäche litt.

In der zweiten Septemberhälfte 1941 wurde er aus dem Gefängnis in Poznań nach Rawicz verlegt. Er wog damals sechzig Kilogramm. Ende August 1943 sollte er entlassen werden – nach einer zwanzigmonatigen Haftstrafe und vier Monaten Untersuchungshaft.

Anfang Januar 1942 schrieb Natalia Blaszkowska einen kurzen Brief an die Gefängnisleitung in Rawicz und bat um ein Treffen mit ihrem Onkel. Die Eltern der Frau waren bereits gestorben, aber Stefan blieb ihr einziger Verwandter. Sie wollte mit ihm eine wichtige Familienangelegenheit besprechen. Die Frau lebte in Śmigiel, wo Stefan geboren worden war. Sie erhielt die Erlaubnis für eine Visitation, die nur fünfzehn Minuten dauern sollte. Blaszkowski starb fünf Monate vor seiner Entlassung an einer Rippenfellentzündung („Herzschwäche“). Die Sterbeurkunde wurde am 22. März 1943 ausgestellt.

 

Hinweis der Gastautorin Joanna Ostrowska:

In den vergangenen Wochen haben wir im Rahmen der Pride Season drei polnische Männer vorgestellt, die nach Paragraph 175 StGB verurteilt wurden. Ihre Geschichten sind völlig unterschiedlich, aber sie alle sind im polnischen kollektiven Gedächtnis aufgrund von Homophobie nicht vorhanden. Heute ist es unmöglich, mit Sicherheit festzustellen, welche Geschlechtsidentität oder sexuelle Orientierung sie hatten. Zwei von ihnen überlebten den Zweiten Weltkrieg und kehrten nach Polen zurück, aber sie haben keine Zeitzeugnisse hinterlassen. Wahrscheinlich hatten sie keine Gelegenheit, auch mit ihren Familien über ihre Vergangenheit zu sprechen, oder sie beschlossen zu schweigen.

Dennoch sind ihre Biografien ein wichtiger Teil der queeren Geschichte des Zweiten Weltkriegs in Polen.

 

Ein Gastbeitrag von Joanna Ostrowska

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