Zunächst waren es einzelne Gedenkstättenfahrten von Fans, heute ist es ein historisch-politisches Bildungsprogramm, mit dem der BVB klare Position gegen Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung bezieht. Daniel Lörcher hat diese Entwicklung mitgestaltet. Im Herbst 2019 kam er zusammen mit seiner Kollegin Amelie Gorden zu Recherchen und Kooperationsgesprächen zu den Arolsen Archives.

Herr Lörcher, es ist nicht selbstverständlich, dass Fußballvereine sich so deutlich positionieren. Wie kam es dazu?

Daniel Lörcher: Es fällt mir schwer, mich dabei kurz zu fassen. Ich versuche es mal mit einigen Eckdaten. 2008 bot der BVB die erste Tagesgedenkstättenfahrt im Rahmen des Auswärtsspiels bei Bayern an. Das war für mich als Teilnehmer eine wichtige Erfahrung. Der BVB hat dann Spiele in München und Berlin als Anlass genommen, die Gedenkstätten Dachau und Sachsenhausen zu besuchen. Die Idee war, Fußball für ein wichtiges Thema zu nutzen. 2011 haben wir dann zum ersten Mal eine Fahrt in die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau angeboten, diese Initiative kam aus einer der Ultrasgruppen und der BVB finanzierte einen Teil der Kosten. Seit 2013 bin ich bei Borussia Dortmund für die Erinnerungs- und Bildungsprojekte, die nun ein fester Bestandteil der Antidiskriminierungsarbeit des Vereins sind, verantwortlich.

Sie kommen also aus der Fanszene. Aber jetzt ist aus dem Interesse ein Beruf geworden, oder?

Daniel Lörcher: Ja, ich leite die Abteilung Corporate Responsibility, die Erinnerungsprojekte sind dort als Teil der Antidiskriminierungsarbeit angesiedelt.

Wie sehen solche Projekte und Fahrten bei Ihnen aus?

Daniel Lörcher: Es ist uns wichtig, dass wir nicht nur eine Reise zu einer Gedenkstätte veranstalten, sondern immer auch begleitende Vor- und Nachbereitungstreffen, damit wir Zeit für eine tiefergehende Auseinandersetzung haben. Eine Besonderheit in unserem Programm ist der lokale Bezug. Wir greifen einzelne Verfolgungsschicksale heraus, gehen zu ehemaligen Wohnorten und zum Südbahnhof in Dortmund, von wo aus Jüdinnen und Juden z.B. in das Ghetto Zamość in Ostpolen deportiert wurden. Vier Wochen später sind wir dann in Zamość am dortigen Bahnhof, wo die Züge ankamen, und laufen danach durch das Gebiet des damaligen Ghettos, um das Leben dort nachvollziehen zu können. Dabei hilft ein erhaltener Brief, mit dem wir die Topografie des Ghettos nachvollziehen können. Der damalige Friedhof ist heute ein Bolzplatz, nichts erinnert an den historischen Ort. Wir sprechen auch darüber, was es für die polnischen Jüdinnen und Juden bedeutete, wenn ein Zug aus Dortmund ankam. Um Platz zu schaffen, deportierten die deutschen Besatzer diese Menschen in die Vernichtungslager.  

Wer sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer?

Amelie Gorden: Es sind Fans, interessant ist die große Spanne im Alter: Die Jüngsten sind 18 Jahre, die älteste Teilnehmerin bisher war 74 Jahre alt. Es sind immer sehr gemischte Gruppen.

Daniel Lörcher: Wir wissen, dass wir rechtsoffene und rechte Personen nicht erreichen können. Das Problem von existierenden Nazistrukturen können wir nicht lösen. Aber wir können dem etwas entgegensetzen: Deshalb wenden wir uns an diejenigen, die sich noch nicht positioniert haben und engagierte Fans. Es ist unser Ziel, Netzwerke zu bilden, denn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer berichten in ihrem Umkreis von den Workshops und Fahrten, so dass die Reichweite wächst.

Wie ist das Feedback auf die Angebote? Sind Sie damit zufrieden?

Amelie Gorden: Oh ja, es bewerben sich in der Regel 120 Interessenten. Pro Reise bieten wir 30 bis 35 Plätze an. Die Teilnehmenden zahlen 50 Euro, der Rest wird von Borussia Dortmund getragen.

Nehmen auch Spieler an den Fahrten teil?

Daniel Lörcher: Nein, wir adressieren sie nicht, aber Funktionäre und Vereinslegenden, weil sie dauerhaft wichtig für den BVB sind. Lars Ricken war zum Beispiel bei einer Bildungsreise nach Auschwitz mit dabei. Die Mannschaft beteiligt sich aber mit sichtbaren Aktionen und zeigt im Stadion das #WeRemember-Banner anlässlich des Holocaust-Gedenktages. Übrigens zeigen auch unsere Sponsoren Rieseninteresse: Wir bieten mittlerweile Veranstaltungen für die Unternehmen, die den BVB fördern. Dazu gehört für Sponsoren Mut, denn sie sagen damit: Wir wissen, dass es da ein Problem gibt und wir sind an der Seite des Vereins. Auch bei uns ist das zu einem echt gefragten Thema geworden, bei dem sich unsere Kolleginnen und Kollegen gerne anschließen.

Warum sind Sie heute zu den Arolsen Archives gekommen?

Daniel Lörcher: Wir haben bei dem letzten Nie-Wieder-Aktionstag in Frankfurt an einem Workshop von Ihrer Kollegin Christiane Weber teilgenommen. Vorher kannten wir das Archiv nur von Internet-Recherchen. Es gibt einige Berührungspunkte zwischen uns. Wir arbeiten viel mit konkreten Biografien und persönlichen Dokumenten, um so den Bezug zur lokalen Geschichte des Nationalsozialismus in Dortmund herzustellen.

Ein Fußballverein und ein Archiv über NS-Verfolgte. Das ist eine ungewöhnliche Verbindung. Frau Weber, wie kann man sich diese Zusammenarbeit vorstellen?

Christiane Weber: Erst einmal möchte ich sagen, dass ich begeistert von der Arbeit von Daniel und Amelie bin. Es ist beeindruckend, was die beiden beim BVB aufgebaut haben.  Wir haben von Amelie schon vor dem heutigen Besuch die ersten Namen geschickt bekommen und tatsächlich hatten wir zu vielen Personen Dokumente. Wir bieten also gerne an, dass wir in unserem Archiv recherchieren und Kopien der Dokumente für die Bildungsveranstaltungen des BVB zur Verfügung stellen. Und wir denken im Moment darüber nach, dass wir auf der Basis unserer Dokumente spezielle pädagogische Materialien für die Arbeit mit Fußballfans  entwickeln. Für die Erinnerungsarbeit von Fanclubs oder Vereinen sollen Biografien von verfolgten Vereinsmitgliedern im Zentrum stehen.

Daniel Lörcher: Das finde ich sehr spannend, wir sind im engen Austausch mit vielen Kolleginnen und Kollegen anderer Vereine. Es besteht großer Bedarf an guten Bildungsmaterialien zum Thema.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

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