„Der Gegensatz zwischen olympischer Idee und nationalsozialistischer Ideologie war offenkundig“

Autoritäre Staaten nutzen ihrer Rolle als Gastgeber bei Olympischen Spielen, um Stärke zu zeigen und diese für Propagandazwecke zu instrumentalisieren. Das zeigt der Blick auf die Olympischen Spiele in Peking und in die Geschichte. Wir haben mit Alois Schwarzmüller über den Charakter der Winterspiele 1936 in Garmisch-Partenkirchen gesprochen.

Herr Schwarzmüller, man liest immer wieder, Olympia hätte mit den Olympischen Spielen 1936 in Garmisch-Partenkirchen die Unschuld verloren. Würden Sie dieser These zu stimmen?

Spontan: Ja! Die Spiele fanden bis dahin in Ländern statt, die die olympischen Grundideen achteten: Frieden zwischen den Völkern, Achtung für den Wert des einzelnen Menschen, Respekt vor seinen sportlichen Leistungen. In Griechenland, in Frankreich, in der Schweiz, in den USA war die Würde der Teilnehmer unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Religion und ihrer politischen Grundauffassung geachtet worden. Hitler und die Nationalsozialisten dachten nicht daran, sich an diese Werte zu halten.

 

Große Gegensätze: Gleichheit – oder Privileg der „Herrenrasse“

Der Gegensatz zwischen olympischer Idee und nationalsozialistischer Ideologie war offenkundig: Internationalität gegen Völkerverständigung, Gleichheit der Menschen und Konfessionstoleranz in krassem Gegensatz zum „Recht des Stärkeren“, zur „Privilegierung der nordischen Rasse als Herrenrasse“. Joseph Goebbels, Minister für Volksaufklärung und Propaganda, erkannte blitzartig die einmalige Chance zur Selbstdarstellung des „neuen nationalsozialistischen Deutschlands“ nach Innen und nach Außen. Er versprach dem IOC alles, was das IOC hören wollte.

 

»Joseph Goebbels, Minister für Volksaufklärung und Propaganda, erkannte blitzartig die einmalige Chance zur Selbstdarstellung des ›neuen nationalsozialistischen Deutschlands‹ nach Innen und nach Außen. Er versprach dem IOC alles, was das IOC hören wollte.«

Alois Schwarzmüller, Lokalhistoriker Garmisch-Partenkirchen

 

Welche Schlüsse konnten die Nationalsozialisten für die Sommerspiele 1936 in Berlin ziehen?

Den Winterspielen in Garmisch-Partenkirchen kam als propagandistischer und organisatorischer Vorreiter für Berlin eine besondere Aufgabe zu. Gekonnt wurden die Spiele als „unpolitisches Friedensfest“ arrangiert. Natürlich konnte man sich über den Charakter der Spiele täuschen und täuschen lassen, man konnte auch nichts wissen wollen von Dachau, man konnte sogar die Augen vor der Diskriminierung und Verfolgung der jüdischen Bürger schließen.

 

Täuschung über den Charakter des Nationalsozialismus

Heute ist bekannt, wie Juden in Garmisch-Partenkirchen gequält und gejagt wurden. Wir kennen die Namen und die Schicksale vieler Dachau-Häftlinge aus dem Bezirk Garmisch. Die Nationalsozialisten haben schnell erkannt, dass sie mit den olympischen Spielen eine perfekte Tarnkappe aufsetzen konnten. Das große olympische Spektakel in Berlin – mit der Vorstufe in Garmisch-Partenkirchen – eignete sich hervorragend dafür, das Ausland über den wahren Charakter des Nationalsozialismus wenigstens für begrenzte Zeit hinwegzutäuschen. In der NS-Presse hielt man die Spiele sogar für ein „wichtiges Instrument zur Wiedererringung der Weltgeltung Deutschlands“. Ganz in diesem Sinne wurde von Goebbels die Losung „Olympia – eine nationale Aufgabe“ propagiert.

 

Adolf Hitler bei der Eröffnungsfeier der Olympische Winterspiele 1936 in Garmisch-Partenkirchen (Foto: Bundesarchiv, R 8076 Bild-0008 / Heinrich Hoffmann / CC-BY-SA 3.0)

 

Boykotte sind in der Geschichte Olympischen Spielen immer wieder Thema. Wie realistisch waren diese im Hinblick auf die Spiele in Garmisch-Partenkirchen?

Diktatur, Militarismus, Antisemitismus – auf den offenkundigen Verstoß gegen die olympische Idee folgte vor allem in den USA, in Frankreich, in England und in der Schweiz, in den Niederlanden, in den skandinavischen Ländern und in der Tschechoslowakei eine Welle der Empörung. Das Ziel war, die Spiele in Hitler-Deutschland zu boykottieren oder sie in ein anderes Land zu verlegen. Bei der gleichen Wiener Session des IOC im Juni 1933, bei dem Garmisch und Partenkirchen mit den Winterspielen beauftragt wurden, musste Hitlers Regierung schriftlich garantieren, dass in der deutschen Olympiamannschaft „für alle Rassen und Konfessionen“ freier Zugang gewährt werden würde.

 

Der Boykott gegen Nazi-Deutschland scheiterte

Das größte Gewicht hatte die Boykottbewegung in den Vereinigten Staaten von Amerika. Sie wurde getragen von der American Amateur Athletic Union (AAU). Sie drohte mit der Ächtung der Spiele in Deutschland. Avery Brundage, Präsident des Amerikanischen Olympischen Komitees und Gegner des Boykotts, fuhr 1934 ins nationalsozialistische Deutschland und „untersuchte“ die Situation jüdischer Sportler. Brundage stellte nach Gesprächen mit deutschen Juden zynisch fest: „In my club in Chicago Jews are not permitted either“ („In meinem Club in Chicago sind auch keine Juden zugelassen.“) Habt Euch also nicht so! Sein Bericht führte dazu, dass sich die amerikanische Boykottbewegung letztlich geschlagen geben musste. In der entscheidenden Abstimmung behielten die Befürworter einer Olympia-Teilnahem mit 58 zu 56 Stimmen die Oberhand. Der Druck aus dem Ausland führte kurz vor den Olympischen Spielen noch zu einem Ergebnis. Offenkundig antisemitische Plakate im Olympiaort Garmisch-Partenkirchen wurden beseitigt.

 

Offizielles Werbeplakat für die Spiele in dänischer Sprache, auf dem der Skisportler einen Hitlergruß andeutet (Foto: Wiki Commons, Public Domain)
Elis Wiklund beim Langlaufwettbewerb: Der Schwede holte über 50 km die Goldmedaille. (Foto: Wiki Commons, Public Domain)

Die Winterspiele 1936

Die IV. Olympischen Winterspiele fanden vom 6. bis 16. Februar 1936 in Garmisch-Partenkirchen statt. Mit der Vergabe der Sommerspiele nach Berlin hatte Deutschland auch das Recht für die Ausrichtung der Winterspiele erhalten. Mit 755 Athleten aus 28 Ländern in 17 Wettbewerben stellten die Spiele einen neuen Rekord auf. Norwegen holte mit 7 Gold-, 5 Silber- und 3 Bronzemedaillen im Medaillenspiegel den ersten Platz vor Deutschland (3-3-0) und Schweden (2-2-3).

 

Und warum vergab das IOC die Winterspiele 1939 trotzdem erneut an Deutschland?

Im November 1938 hatten die Synagogen in ganz Deutschland gebrannt, im März 1939 war Hitlers Armee zur „Zerschlagung der Resttschechei“ ausgerückt – und im Juni 1939 sprach sich das IOC in London in einer einstimmigen Entscheidung – freilich ohne das tschechoslowakische IOC-Mitglied Jiří Guth-Jarkovský, den Hitler nicht nach London ausreisen ließ – für die Vergabe der Winterspiele 1940 an Deutschland aus. Vorher hatten Sapporo und St. Moritz aus unterschiedlichen Gründen verzichten müssen. Hitler zögerte keine Sekunde und griff sofort zu. Er wusste die Wirkung der Spiele von Garmisch-Partenkirchen und Berlin im Jahre 1936 für das deutsche Prestige in Europa und in der Welt zu schätzen.

IOC-Präsident Baillet-Latour ließ es sich nicht nehmen, das einstimmige Votum als Beweis für die „Freiheit des IOC von politischen Einflüssen“ zu nehmen. Dass das IOC längst schon „profaschistische Tendenzen“ (Peter Heimerzheim) hatte, wie sich vor allem bei der Besetzung mit neuen Mitgliedern überwiegend aus autoritär regierten Ländern zeigte, überging er dabei.

Alois Schwarzmüller, Studiendirektor a.D., beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Geschichte Garmisch-Partenkirchens im Nationalsozialismus und erinnert unter anderem an die verfolgten und ermordeten Jüdinnen und Juden. 2011 legte er mit drei Mitstreitern die Dokumentation „Die Kehrseite der Medaille“ zur Geschichte der Winterspiele 1936 in Garmisch-Partenkirchen vor.

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