Eigentlich wollte Geschichtslehrer Daniel Fröhlich nur etwas über den Namen seiner Großmutter wissen. Dann erfuhr er vom ITS, dass sein Urgroßonkel und seine Urgroßtante als KZ-Häftlinge umgekommen waren. Überraschend erhielt er Abbildungen der letzten Besitzstücke, die die Nationalsozialisten dem Mann im Lager abgenommen hatten. Mit Hilfe dieser Informationen rekonstruiert er seit drei Jahren Stück für Stück die Geschichte seiner Familie.

„Ich will etwas finden, das der Geschichte Namen und Gesicht gibt“, erklärt Daniel Fröhlich. Aus Daten und Informationen rekonstruiert er das Leben seines Urgroßonkels und dessen Frau. Vor drei Jahren suchte er im Internet den Namen seiner Großmutter. Er interessierte sich für die Herkunft des Adelstitels. Schnell stieß er auf den ITS und die Information, dass sein Urgroßonkel Ferdinand von Reichel und dessen Frau Charlotte im Konzentrationslager umkamen. Er erhielt auch Abbildungen persönlicher Gegenstände, die die Nationalsozialisten dem Mann abgenommen hatten. „Ich war von den Bildern überrascht“, sagt er, „und habe mich gefragt: Wieso landete mein Urgroßonkel im KZ?“

Mit den Informationen des ITS fuhr er in Archive, fragte Verwandte und informierte sich in Datenbanken. Daraus lässt sich einiges rekonstruieren: Obwohl die Eltern Charlotte von Reichels aus dem Judentum ausgetreten waren, muss sie den Vornamen „Sara“ annehmen. Ihr Mann Ferdinand, ein Kaufmann, und sie ziehen 1941 von Berlin nach Hamburg, wo sie niemand kennt. Sie hoffen, den zunehmenden Repressalien so zu entkommen. Fast die gesamte Familie von Charlotte wird deportiert. Auch Charlotte wird 1943 denunziert und in Fuhlsbüttel inhaftiert. Sie soll gesagt haben, die Deutschen seien selbst Schuld an den Bombenangriffen. Ihr Mann besucht sie in der Haft, wäscht ihre Wäsche, schreibt ihr. Und weigert sich, die Scheidung einzureichen.

„Es gibt einen Brief Ferdinand von Reichels darüber, wie er versucht, sie vor Auschwitz zu retten“, erzählt Fröhlich. Er sorgt dafür, dass sie ins Konzentrationslager Ravensbrück kommt. In der Hoffnung, dass sie dort überlebt, bis der Krieg zu Ende ist. „Man erkennt in den Briefen, wie verzweifelt er war“, sagt Fröhlich. Und wie sehr er sich wünscht, dass der Krieg bald verloren ist. Offenbar äußert er sich ähnlich auch in der Öffentlichkeit. Das wird ihm zum Verhängnis: Im November 1944 verschleppen ihn die Nationalsozialisten in das Konzentrationslager Neuengamme. Zwei Monate später stirbt der 52-Jährige dort, angeblich an einer Blutvergiftung am linken Arm, wie in den Totennachweisbüchern zu lesen ist. Seine Frau bringen die Nazis vermutlich mit Gas um.

Besonders berührt Fröhlich, nun in der Ausstellung der Gedenkstätte Neuengamme den Ehering Ferdinand von Reichels in der Hand halten zu können. Der ITS hatte diesen Ring und das Eiserne Kreuz seines Urgroßonkels dorthin ausgeliehen. „Schon ein mulmiges Gefühl“, so Fröhlich. „Ein Ehering ist doch etwas sehr persönliches und stellt noch mehr Bezug zum Menschen her.“ Die Gegenstände sollen nach seinem Wunsch jedoch in der Gedenkstätte verbleiben. Er will weitersuchen und als nächstes zu einem Familienzweig Kontakt aufnehmen, der vielleicht unbekannte Puzzlestücke zur Geschichte beitragen kann.

 

 
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