Fast zwölf Monate lang recherchiert
Ein bedeutsames Päckchen befindet sich auf seinem Weg nach Polen: Darin sind eine Armbanduhr und eine Kette mit einem Kruzifix-Anhänger. Der Schmuck gehörte Bolesław Hermanowicz. Er war unter den 728 polnischen politischen Gefangenen, die von den deutschen Besatzern am 14. Juni 1940 mit dem ersten Häftlings-Transport in das von den Nazis neu errichtete Konzentrationslager Auschwitz deportiert wurden.
Der damals 17-Jährige, über dessen Verfolgungsweg im Archiv des International Tracing Service (ITS) nur einige wenige Informationen zu finden sind, trug die Häftlingsnummer 707 und war von Beruf Maler. Am 12. März 1943 kam er zur Zwangsarbeit mit einem Transport von Auschwitz in das Konzentrationslager Neuengamme. Seine persönlichen Gegenstände wurden zur Aufbewahrung in die dortige Effektenkammer mitgeschickt. Sie waren sein letzter Besitz und ein Hinweis darauf, dass er bis zur Räumung des Lagers kurz vor der Befreiung noch lebte. Wie und wann er starb, ist unbekannt.
Als ITS-Mitarbeiterin Malgorzata Przybyla im Mai 2017 die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau besuchte, hatte sie die wenigen Informationen zu ihm bei sich. Sie fragte bei den Kolleg*innen dort nach, ob sie mehr wüssten und vielleicht sogar Hinweise auf Verwandte hätten. Sie bekam den wichtigen Hinweis, dass ein in Deutschland lebender Pole kürzlich eine Anfrage gestellt hatte. Beim folgenden Kontakt stellte sich heraus, dass der Mann auf einem Flohmarkt zufällig einen Brief von Bolesław Hermanowicz aus dem Konzentrationslager Auschwitz an dessen Mutter gefunden und gekauft hatte und sich deshalb für sein Schicksal interessiert. Er stellte dem ITS eine digitale Kopie des Briefes zur Verfügung. Darin fand sich eine Spur: Die Mutter hatte in dem polnischen Ort Radom gelebt.
Nachdem alle Versuche, über die Stadtverwaltung Radom eventuell Angehörige zu finden, gescheitert waren, bat Malgorzata Przybyla die Journalistin Jowita Flankowska um Mithilfe. Sie suchte intensiv vor Ort, ging Friedhöfe in der Umgebung ab und fragte überall nach. Endlich hatte sie Erfolg: „Ich habe es geschafft, Frau Przybyla!!!“, schrieb sie in einer Mail Ende 2017. „Mir ist es gelungen weitere Informationen über die Familie zu ermitteln. Seine Schwester ist leider am 16. Juni 2008 gestorben. Sie hinterließ zwei Töchtern (Zwillinge)! Eine heißt Maria und wohnt in Radom, die andere, Ewa, wohnt in Jastrzębie Zdrój.“
Die Nichten erhalten nun die persönlichen Gegenstände ihres Onkels, den sie nie kennenlernen konnten.