„Da will mich jemand betrügen“ dachte Gabrielle Fourcade, als sie den Brief des International Tracing Service (ITS) erhielt. Konnte es sein, dass es noch persönliche Gegenstände ihres Vaters gab, die ihm die Nationalsozialisten bei seiner Verhaftung vor über siebzig Jahren abgenommen hatten?

Weil in dem Brief aber die Häftlingsnummer ihres Vaters angegeben war, fing die Französin an zu recherchieren und nahm Kontakt zum ITS auf. Im April 2019 fuhr sie schließlich mit ihrem Mann Francis, ihrer Tochter Muriel und ihrer Enkelin Eloise nach Bad Arolsen und erhielt die Uhr und den Füller ihres Vaters zurück. Der Zeitpunkt der Rückgabe 80 Jahre nach Ende des spanischen Bürgerkrieges und 50 Jahre nach dem Tod ihres Vaters hatte für Gabriella Fourcade besondere Symbolkraft. „Alles was mit meinem Vater zusammenhängt, ist für mich sehr emotional!“

Enrique Zudaire Menezo kam am 30. Juni 1911 im Baskenland zur Welt. Er brachte es über die Militärakademie in Madrid schnell zum Kommandanten in der spanischen Armee. Als 1936 in Spanien der Bürgerkrieg ausbrach, kämpfte er gegen das Franco-Regime. Nach dem Sieg der Faschisten 1939 floh Enrique nach Frankreich, wo die etwa 500.000 Kriegsflüchtlinge aus Spanien zum Teil unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert wurden. Auch Enrique Zudaire Menezo kam in verschiedene Internierungslager.

Nach seiner Entlassung nannte er sich Henri Zudaire und gründete in Coarraze in den Pyrenäen eine Familie. Als die Nationalsozialisten Frankreich besetzten, schloss er sich dem Widerstand an und wurde vermutlich denunziert. Er kam zunächst in das politische Gefängnis im Fort du Hâ, danach in das Lager Royallieu bei Compiègne, das den Nationalsozialisten als Sammellager für Gefangenentransporte nach Deutschland diente. Ein solcher Transport brachte ihn und über 2000 Männer am 21. Mai 1944 in das KZ Neuengamme. Dort erhielt Henri Zudaire einem ITS-Dokument zufolge die Häftlingsnummer 31971. Er musste Zwangsarbeit im Außenlager Watenstedt in den Hermann-Göring-Werken leisten.

Gabrielle Fourcade erzählt, dass ihr Vater trotz der schlimmen Lage immer optimistisch blieb und versuchte, seinen Mithäftlingen Hoffnung zu geben. Auch äußerlich fiel er auf: Er bastelte sich aus Schnur eine Krawatte und band sie sich um den Hals. Daher wurde er im KZ „der Mann mit der Krawatte“ genannt. „Ich glaube, er wollte damit zeigen, dass er auch unter unmenschlichen Bedingungen seine Würde behalten hatte.“

Henri Zudaires Enkelin Muriel war von dem Besuch in Deutschland tief beeindruckt: „Die Reise meines Großvaters durch diese dunklen Jahre nachzuvollziehen, eine Reise, die mir jetzt klarer, konkreter und realer erscheint, war mehr als aufregend.“

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