Marcelle Boulhol war total überrascht, als eine Mitarbeiterin des International Tracing Service (ITS) sie kontaktierte und auf die persönlichen Gegenstände ihres Onkels im Archiv aufmerksam machte. Sie wusste bis dahin nur wenig über sein Schicksal. Das Paket mit der Uhr und dem Stift von Antoine Brun erreichte sie im November 2017: „Mein Onkel war sehr wichtig für mich“, schrieb die französische Lokalpolitikerin als Antwort an den ITS. „Obwohl ich ihn nicht kannte. Wegen der Trauer meiner Mutter, die während ihres ganzen Lebens um ihren Bruder weinte.“

Die Nationalsozialisten hatten den Franzosen aus Rive de Gier in der Region Auvergne-Rhône-Alpes zur Zwangsarbeit für die Auto-Union nach Zschopau verschleppt. Am 27. August 1944 verhaftete ihn die Gestapo Chemnitz aus unbekannten Gründen, drei Monate später folgte die Deportation als politischer Gefangener in das Konzentrationslager Neuengamme. Er bekam die Häftlingsnummer 66643. Sein im Archiv des ITS aufbewahrter Totenschein gibt Auskunft darüber, wo er seine letzten Wochen verbringen musste und wann er starb: Die Nazis lieferten den Monteur in das Außenlager Bremen-Schützenhof ein. Dort mussten die Häftlinge U-Boot-Teile produzieren und einen U-Boot-Bunker bauen. Auch wurden sie zur Trümmerbeseitigung im Bremer Stadtgebiet herangezogen. Neben ungarischen Juden befanden in diesem KZ-Außenlager vor allem politische Häftlinge aus Belgien, Frankreich, Polen und der Sowjetunion.

Am 22. Februar 1945 starb Antoine Brun im Alter von nur 36 Jahren, ermordet durch Zwangsarbeit und unmenschliche Lebensbedingungen. Seine Asche wurde zunächst auf dem Riensberger Friedhof in Bremen beigesetzt. 1956 folgte seine Umbettung auf den Friedhof Osterholz, in einem Ehrengrab für NS-Opfer.
Der ITS recherchiert im Rahmen der Kampagne #Stolen Memory intensiv nach Angehörigen von NS-Opfern, deren persönliche Gegenstände im Archiv lagern. Das Ziel ist, möglichst viele dieser bedeutenden Erinnerungsstücke in die Hände der Familien zurückzugeben.

Im Fall von Antoine Brun war die Suche schnell erfolgreich, da seine Angehörigen in Rive de Gier geblieben waren. Über das Einwohnermeldeamt der Stadt erhielt der ITS die Auskunft, dass zwar die Ehefrau und die Schwester von Antoine Brun gestorben waren, jedoch ein Neffe und eine Nichte gefunden werden konnten. Eigene Kinder hatte er nicht. So kam es zum Kontakt mit Marcelle Boulhol, die Mitglied der Fédération nationale des déportés et internés résistants et patriotes (FNDIRP) ist und sich für das Erinnern an die NS-Verbrechen und ein „Nie wieder“ einsetzt. „Die Wunden sind immer noch da, diese grausame Zeit hat Spuren hinterlassen,“ betont sie. Mehr zu wissen und Antoines persönlichen Gegenstände für spätere Generationen bewahren zu können, bedeute ihr viel.

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