Die Arolsen Archives veröffentlichen nicht nur Millionen von Dokumenten online. Auch Bücher und Zeitschriften stehen jetzt in einer digitalen Bibliothek zur Verfügung. Das neue Online-Portal aroa.to/online-bibliothek bietet Nutzer*innen mit hilfreichen Such- und Filtermöglichkeiten eine schnelle und genaue Recherche und wird kontinuierlich erweitert. Henning Borggräfe, Abteilungsleiter Forschung und Bildung, Christian Groh, Archivleiter und Nicole Tödtli, Referatsleitung Reference Service, sprechen über die Entstehung und die Zukunft der neuen Online-Bibliothek.

Ab dem 17. April werden Bücher und Zeitschriften aus der Bibliothek der Arolsen Archives online veröffentlicht. Welche Idee steckt dahinter?

Henning Borggräfe: Überlegungen zum Thema Online-Bibliothek hatten wir ursprünglich gemeinsam mit anderen Gedenkstätten getroffen. Wir sind seit Jahren in der Arbeitsgemeinschaft der Gedenkstättenbibliotheken gut vernetzt und es ist uns ein Anliegen, wertvolle und seltene Bestände einer breiten Fachöffentlichkeit digital zugänglich zu machen. Unsere eigene Bibliothek beinhaltet mit einigen Schriften zur Geschichte der Displaced Persons aber auch zur Frühgeschichte der Vermisstensuche wahre Schätze. Da wir das Projekt Online-Bibliothek möglichst zeitnah umsetzen wollten, legen wir nun sozusagen vor.

Analog zum Online-Archiv der Arolsen Archives wird es ein Online-Portal für die digitale Bibliothek geben. Die technische Infrastruktur kommt von semantics.

Henning Borggräfe: Genau, mit semantics haben wir bereits zusammengearbeitet. Sie haben mit uns die erste Version unseres Online-Archivs entwickelt, bevor es in Kooperation mit Yad Vashem im letzten Jahr neu aufgelegt wurde. Das ursprüngliche Online-Portal können wir aber weiternutzen, jetzt mit neuen Inhalten. Das Team von semantics hat ein spezielles Know-how und die nötigen Softwarelösungen zur Umsetzung und Verwaltung von digitalen Bibliotheken und den hier geltenden Standards. Daher ist die Zusammenarbeit mit einem solchen Partner für uns naheliegend und praktisch.

Was musste alles in die Wege geleitet werden, um dieses Projekt zu realisieren? Wie sah der Ablauf hinter den Kulissen aus?

Nicole Tödtli: Zunächst einmal mussten wir eine erste Auswahl treffen, welche Bücher für die Online-Veröffentlichung am besten geeignet sind. Wir haben Listen verfasst, um einen Überblick zu bekommen und die Werke zu identifizieren. Diese mussten dann in unserer Bibliothek herausgesucht und in der Abteilung Digitalisierung eingescannt werden. Diese Daten hat die IT dann an semantics übergeben, die sie dann mit den dazugehörenden digitalen Metadaten der einzelnen Bücher verknüpft und in das neue Portal eingespeist haben. Es ist ein abteilungsübergreifendes Projekt, an dem alle sehr gut zusammenarbeiten.

Bibliothek Arolsen Archives

In einer ersten Auswahl für die digitale Veröffentlichung mussten Bücher in der Bibliothek identifiziert, herausgesucht und digitalisiert werden, bevor sie ins neue Online-Portal eingespeist wurden.

Aus welchem Grund werden denn einige Bücher veröffentlicht und andere nicht?

Christian Groh: Wir stellen Bücher online, die aus urheberrechtlicher Sicht unkritisch sind. Hierzu gehört beispielsweise „graue Literatur“, also Schriften, die im Privatdruck, nicht mit einem Verlag und somit einschränkenden Rechten verwirklicht wurden. In unserem Fall sind das vor allem von unserer Institution verfasste oder herausgegebene Publikationen, die gleichzeitig in nur wenigen anderen Bibliotheken weltweit zu finden sind und jetzt für die breite Öffentlichkeit nutzbar gemacht werden. Aber auch Bestände von Institutionen, die nicht mehr existieren, oder bei denen das Copyright abgelaufen ist, werden online veröffentlicht. Aktuell sind dies überwiegend Publikationen zu Displaced Persons, viele auch zu Konzentrationslagern. Später sollen Publikationen zu Zwangsarbeit sowie Jahresberichte der Arolsen Archives folgen.

Nicole Tödtli: Bei allen Werken, die nicht von uns stammen, müssen wir die Urheberrechte einzeln prüfen. Das machen wir als nächstes. Bei tausenden Büchern in unserer physischen Bibliothek eine ziemliche Herausforderung…

Welche Vorteile wird es mit der neuen Online-Bibliothek für externe Nutzer und für die Mitarbeiter*innen der Arolsen Archives geben?

Nicole Tödtli: Auf dem Portal der Online-Bibliothek werden auch einige Publikationen veröffentlicht, die aufgrund ihres Copyrights nicht für die Öffentlichkeit sichtbar sein werden. Diese Titel sind für die Mitarbeiter*innen der Arolsen Archives sowie für alle bei uns vor Ort im Lesesaal online recherchierbar. Für unsere Mitarbeiter*innen wird die neue Online-Bibliothek zukünftig zu einem Hilfs-Tool im Homeoffice. Da wir die Möglichkeiten von zuhause zu arbeiten immer weiter ausbauen, ist es besonders für die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen sehr wichtig, vollen Zugriff auf Forschungs- und Arbeitsmittel zu haben. Das betrifft besonders jüngere Literatur, die öffentlich nicht online zugreifbar wäre. Diese kann dann schnell und unkompliziert von unseren Kolleg*innen recherchiert werden. Semantics hat für uns beispielsweise Inhaltsverzeichnisse für alle Publikationen erstellt. Anhand derer kann der Nutzer bestimmte Kapitel aussuchen und kommt dann mit einem Klick direkt zur gewünschten Seite im Buch.

Forscher im Lesesaal, Arolsen Archives

Im Lesesaal der Arolsen Archives sind auch die Titel im neuen Online-Tool recherchierbar, die aufgrund ihres Copyrights nicht für die Öffentlichkeit zugänglich sind.

Henning Borggräfe: Es gibt dank einer OCR-Texterkennung im Rahmen der Digitalisierung auch eine sehr hilfreiche Volltextsuche, die sogar werkübergreifend funktioniert: Man gibt das gesuchte Wort ein und das Online-Portal zeigt jede Seite in jeder Online-Publikation, auf der dieses Wort zu finden ist. Das ist für Nutzer von großem Vorteil, weil sie so viel tiefer in die Recherche einsteigen können. Das ist übrigens auch eine Erleichterung für unsere Kolleg*innen in der Anfragenbeantwortung, die sich mit Recherchen befassen.

Christian Groh: Schließlich hilft uns das Online-Angebot auch in der analogen Papierwelt: Bücher müssen nicht mehr so häufig intern verliehen werden. Hierdurch entfällt einiges an administrativer Arbeit. Vor allem aber werden die seltenen Originale so geschont und können besser für die Nachwelt erhalten werden.

Wie geht es mit der Online-Bibliothek weiter?

Christian Groh: Unsere jetzige Auswahl an zu veröffentlichenden Büchern ist erst der Anfang, es sollen noch viele mehr online nutzbar sein. Und auch Zeitschriften sollen hinzukommen. Daran arbeiten wir kontinuierlich weiter. Für uns ist auch denkbar, Bestände aus anderen, verwandten Institutionen auf dem Portal zu veröffentlichen, so dass Nutzer*innen möglichst viel einschlägige Literatur auf einem Portal finden können. Selbstverständlich würden wir in dem Fall auf die verwahrende Bibliothek deutlich hinweisen. Nach erfolgreicher Einführung des Portals werden wir den Kontakt zu Gedenkstättenbibliotheken und anderen suchen.

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