Rückgabe von NS-Raubgut:
Urenkel von verfolgtem Sinto erhält Armband zurück
Die Nationalsozialisten nahmen Johann Franz sein Armband ab, als sie ihn 1941 in das Konzentrationslager Auschwitz einlieferten. Nach langjähriger Suche konnten die Arolsen Archives nun einen Urenkel finden. Er erhielt das Armband am Vortag des Europäischen Holocaust-Gedenktages der Sinti und Roma zurück. Die Nationalsozialisten ermordeten über 500.000 Sinti und Roma aus ganz Europa, darunter die Frau von Johann Franz und sieben seiner Kinder.
Für Thomas Franz war es eine große Überraschung, dass ein persönlicher Gegenstand von seiner Familie aus der Zeit vor der Verfolgung erhalten ist. „Es ist schön und berührend, jetzt etwas in der Hand zu halten, das meinem Uropa etwas bedeutet hat und das er schon vor der Zeit im KZ besaß. Wir haben sonst nichts aus dieser Zeit. Die Nazis haben meiner Familie alles genommen.“ Die Mutter und sechs der Kinder wurden im „Zigeunerfamilienlager“ im KZ Auschwitz ermordet, ein Sohn starb vermutlich im KZ Mittelbau-Dora. Nur Johann Franz und zwei seiner Kinder überlebten.
„Die Übergabe in Brake ist etwas ganz Besonderes: Wir haben kaum Gegenstände von verfolgten Sinti und Roma in unserem Archiv“, erklärt Floriane Azoulay, Direktorin der Arolsen Archives. „Sie wurden in die Vernichtungslager im besetzten Polen und Belarus deportiert, in den meisten Fällen dort ermordet und ihr Besitz verwertet.“ Das Armband von Johann Franz ist erhalten, weil er im März 1943 aus dem KZ Auschwitz zur Zwangsarbeit ins KZ Neuengamme transportiert wurde. Bei solchen Transporten schickten die Nationalsozialisten die persönlichen Gegenstände mit. Diese sogenannten Effekten aus dem KZ Neuengamme wurden nach der Befreiung von der Britischen Armee sichergestellt und gelangten Jahrzehnte später in die Arolsen Archives.
Informationen über das Schicksal der Familie
Mit dem Armband erhielt Urenkel Thomas Franz Informationen über seine Vorfahren, denn einiges zum Schicksal der Familie ist in Dokumenten der Arolsen Archives überliefert. Auch das ist für ihn von großer Bedeutung: „Wir wussten zwar, dass alle Familienmitglieder im KZ waren. Mein Großvater Oskar hatte ja überlebt, aber er sprach nur sehr wenig über die Zeit im Lager. Wir kannten keine Details. Wahrscheinlich war der Schmerz zu groß.“
Geboren 1908 im westpreußischen Bromberg (heute: Bydgoszcz), lebte Johann Franz mit seiner Frau Ida in den 1920er und 30er Jahren als Schausteller und Artist in Ostpreußen. Die Nationalsozialisten verhafteten zuerst Familienvater Johann und verschleppten ihn am 1. September 1941 in das Konzentrations- und VernichtungslagerAuschwitz. Dort gab die SS ihm die Häftlingsnummer 20 338. Dokumentiert ist in den Arolsen Archives auch, dass die Nationalsozialisten die drei ältesten Franz-Geschwister 1944 zur Zwangsarbeit in andere Konzentrationslager verschleppten: die Brüder Josef und Oskar nach Buchenwald, die Schwester Frieda nach Ravensbrück. Der letzte Hinweis auf Josef stammt Anfang 1945 von einem Dokument aus dem KZ Mittelbau-Dora.
Nur Johann, Oskar und Frieda Franz überlebten die Verfolgung. Sie ließen sich nach ihrer Befreiung in Norddeutschland nieder und kämpften nach dem Krieg lange vergebens um Entschädigung: Die junge Bundesrepublik weigerte sich über viele Jahrzehnte, verfolgte Sinti und Roma als Opfer des Nationalsozialismus anzuerkennen und Entschädigungszahlungen zu leisten. Ein Hinweis aus diesen Entschädigungsverfahren führte eine Mitarbeiterin der Arolsen Archives 2022 nach langen Recherchen auf die Spur der Nachkommen von Johann und Oskar Franz in Brake.
Gestohlene Erinnerungsstücke
Die Arolsen Archives bewahren eine besondere Sammlung persönlicher Gegenstände auf: Uhren, Eheringe, Familienfotos. Sogenannte Effekten, die die Nazis ihren Opfern bei der Inhaftierung im Konzentrationslager abnahmen. Zusammen mit Freiwilligen sucht das Zentrum über NS-Verfolgung nach den Familien der Opfer, um die gestohlenen Erinnerungsstücke zurückzugeben. Seit 2016 konnten die Arolsen Archives mit der Kampagne #StolenMemory weltweit 640 Familien finden.