Aya Zarfati, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Haus der Wannsee-Konferenz, hielt im Rahmen unserer Online-Konferenz  zu „Deportationen im Nationalsozialismus – Quellen und Forschung“ einen Vortrag über das Aufeinandertreffen von Archiven und Familienforschung. Sie beschrieb die Herausforderungen und Potenziale, die viele Angehörige bei Suchanfragen beschäftigen. Wir wollten mehr wissen und haben sie um ein Gespräch gebeten.

Aya Zarfati ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannseekonferenz. Sie beschäftigt sich mit Vergangenheitsbewältigung in der israelischen und deutschen Gesellschaft und pädagogischen Ansätzen der Geschichtsvermittlung. Die Israelin hat auch ihre eigene Familiengeschichte – der Verfolgung und Deportation ihrer Angehörigen in Österreich und Kroatien – recherchiert. Ihre Erfahrungen sind ein Beispiel dafür, was viele Angehörige der dritten und vierten Generation bei ihren Recherchen erleben. Ihre Perspektiven als Wissenschaftlerin, Pädagogin und Nachfahrin von Opfern des Nationalsozialismus macht ihre Einblicke besonders spannend.  

 

Aya Zarfati

Bei der Konferenz hielt Aya Zarfati den Vortrag „Wechselwirkung, Verwirrung und Potenzial: Über das Aufeinandertreffen von Archiven (zur NS-Geschichte) und Familienforschung“. Im Interview erzählt sie uns von ihren Erfahrungen zur Recherche.

 

Frau Zarfati, welche Erfahrungen haben Sie gesammelt, als Sie zu der Verfolgungsgeschichte Ihrer Familie recherchiert haben?

Ganz klar wurde, wie zerstreut das Quellenmaterial zum Holocaust ist, auch im Hinblick auf die biographische Forschung. Es erstreckt sich oft über viele Orte, an denen die Verfolgung und Vernichtung stattfand und dementsprechend auch über unterschiedliche Archive.

Mein Ausgangspunkt war zweifellos vorteilhaft. Ich hatte Ego-Dokumente von meinem Urgroßvater Max Werdisheim. Er wurde in Österreich verfolgt, dort wurde die Verfolgung – im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern – gut organisiert, bürokratisiert und dokumentiert. Ursprünglich wollte ich auch weitere Biografien rekonstruieren, von Verwandten die nach Jugoslawien geflohen waren und von dort aus deportiert und ermordet wurden, aber ich bin mit der Recherche gescheitert.

Ich habe sehr unterschiedliche Erfahrungen mit Datenbanken, Online Portalen und Archiven gemacht. Dabei habe ich gemerkt, dass vor allem die Größe, die Finanzierungsart, das Personal, die Anzahl von Anfragen und die vorhandenen technischen Möglichkeiten eine wichtige Rolle spielten.

 

Max Werdisheim, Aya Zarfatis Urgroßvater.  Sie recherchierte seine Verfolgungsgeschichte in mehreren Archiven und stieß dabei auf verschiedene Herausforderungen.

Was kann man daraus ableiten, wenn es um die Interessen von Angehörigen bei Archiv-Recherchen geht? 

Angehörige sind keine Historiker*innen und keine Expert*innen. Einerseits könnten sie Informationen über Familienangehörige – zumindest theoretisch – finden. Anderseits wissen sie nicht, wonach man wo und wie suchen könnte. Dazu kommt, dass sie häufig in der Familienerzählung gefangen sind und Informationen, die im Widerspruch zum Familiennarrativ stehen, erstmal gar nicht wahrnehmen. Deswegen brauchen sie mehr Unterstützung und Anleitung.

 

Sie haben selbst erlebt, dass nicht alle Familiengeschichten „richtig“ erzählt werden. Was empfehlen Sie Angehörigen der zweiten, dritten oder vierten Generation?

Die Nachfahren müssen sich vergegenwärtigen, dass Familiengeschichten oft mit Fehlern oder auch falschen Interpretationen von Motiven und Handlungsspielräumen weitererzählt wurden. Wenn Angehörige über Informationen stolpern, die mit deren Familiengeschichten nicht übereinstimmen, heißt es nicht zwingend, dass das Archiv falsch liegt. Sie müssen sich auf die Spuren einlassen.

 

Passantrag von Max Werdisheim aus dem April 1938.

Was hat Sie persönlich am meisten überrascht bei Ihrer Recherche?

Das Quellenpotential und die Möglichkeit, unter den Beständen von Behörden und in Täter-Dokumenten auch Ego-Dokumente zu finden. In dem Fall Max Werdisheim war das zum Beispiel ein Antrag auf einen Pass, den er im April 1938 bei der Gestapo in Graz gestellt hat. Persönlich war ich beeindruckt davon, wie sich die Person Max Werdisheim im Laufe der Recherche „veränderte“: die Quellen skizzieren ein komplexes Gefüge von Ereignissen und Entscheidungsfindungen, in dem er selbst Akteur war, zumindest bedingt Handlungsfähigkeit besaß und kein passives Opfer war.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Zarfati.

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