Georg Baran war NS-Zwangsarbeiter im Deutschen Reich und kehrte nie in seine Heimat zurück: Schon nach einem knappen Jahr starb er bei einem Arbeitsunfall auf einem Hof in Schleswig-Holstein. Nun hat das Ukrainische Rote Kreuz seine Nichte im Lwiw getroffen und ihr die Dokumente und Fotos ihres Onkels ausgehändigt. Die Arolsen Archives suchen zusammen mit Partnern nach den Spuren der Menschen, von denen sie bis heute persönliche Gegenstände aufbewahren. Diese waren der Institution übertragen worden, um die rechtmäßigen Besitzer zu finden und die Erinnerungsstücke zurückzugeben.

Einige Fotos, Briefe vom Bruder und von einem befreundeten Pfarrer, Kleider- und Lohnkarten: die persönlichen Gegenstände von Georg Baran erzählen die Geschichte über seinen unfreiwilligen Arbeitseinsatz im nationalsozialistischen Deutschland, der für ihn tödlich endete. Ab 1943 waren mehr als die Hälfte aller Beschäftigten in der Landwirtschaft ausländische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen. Die meisten stammten aus den besetzten Gebieten in der Mitte und im Osten Europas – so auch Georg, der am 4. Mai 1910 im Kreis Stryj in der heutigen Ukraine geboren wurde. Im Juli 1942 kam er als Zwangsarbeiter nach Deutschland, auf einen großen Gutshof bei Eckernförde.

Vorladung und Deportation

In allen Regionen gab es sogenannte Arbeitsämter der deutschen Besatzungsbehörden. Anfangs wurde versucht, Freiwillige zu werben. Doch der große Bedarf an Arbeitskräften ließ sich so nicht decken. Zudem sprach sich schnell herum, dass die Arbeiter mit falschen Versprechungen gelockt, dann als Menschen zweiter Klasse behandelt und ihrer Rechte beraubt wurden. Das NS-Regime praktizierte eine systematische und menschenverachtende Ausbeutung von Arbeitskräften. Arbeitsfähige Männer und Frauen wurden einbestellt und deportiert, um so für die Aufrechterhaltung der NS-Kriegswirtschaft zu sorgen. Auch Georg Baran erhielt einen solchen Bescheid: „Sie haben sich am 17.VII.1942 um 7 Uhr im Arbeitsamt Stryj zur Abreise als landwirtschaftlicher Arbeiter nach einer Arbeitsstelle im Deutschen Reich einzufinden. Mitzubringen sind: Ausweispapiere, Arbeitskleidung, feste Schuhe und Verpflegung für zwei Tage.“ Er nahm zudem Fotos von seiner Schwester und seinem Bruder Michal mit. Zu Georgs persönlichen Gegenständen gehören auch Arbeitskarten und andere Dokumente der NS-Bürokratie zur Verwaltung der Zwangsarbeiter.

 

Georg Barans Schwester und sein Bruder Michal hatten ihm ihre Fotos zur Erinnerung mit auf seinen Arbeitseinsatz in Deutschland gegeben.

 

Tödlicher Unfall

Bereits am 22. April 1943 kam Georg Baran bei einem Arbeitsunfall ums Leben. In den Arolsen Archives befindet sich seine Sterbeurkunde, die nach dem Krieg ausgestellt wurde. Erhalten ist auch eine Bescheinigung des Gutspächters, der aussagte, dass der junge Mann ab dem 25. Juli 1942 bei ihm als „Landarbeiter beschäftigt“ gewesen sei und der die Umstände seines Todes schilderte: „Beim Waggon-Verladen geriet er zwischen die Türen und starb gleich danach an den schweren Quetschungen und Prellungen.“ Seine Brieftasche kam 1954 in das Archiv nach Bad Arolsen. Das Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein gab sie an den damaligen Suchdienst ab. Bis heute bewahren die Arolsen Archives noch mehr als 2 500 Umschläge mit persönlichen Gegenständen auf. Fast alle stammen von ehemaligen Häftlingen aus Konzentrationslagern. Die Brieftasche von Georg Baran stellt in dieser Hinsicht eine Ausnahme dar. Sie wurde vermutlich auf dem Hof aufbewahrt und später den Behörden ausgehändigt. Eine weitere Besonderheit kommt hinzu: Es handelt sich erst um die vierte Rückgabe von persönlichen Gegenständen in der Ukraine.

Dokumente über den Vater gefunden

Das Ukrainische Rote Kreuz hatte sich im Rahmen der #StolenMemory-Kampagne auf die Suche nach Angehörigen von Georg Baran gemacht und nach mehr als zwei Jahren schließlich seine Nichte Ljubow Iwanowna Baran gefunden. Sie wohnt im äußersten Westen der Ukraine, nahe der Grenze zu Polen. Um eine persönliche Übergabe zu ermöglichen, wurden die Sachen zur Außenstelle des Roten Kreuzes in Lwiw geschickt. Dort konnte Ljubow Iwanowna Baran sie entgegennehmen und bekam von den Mitarbeitern hilfreiche Erklärungen zu den Gegenständen und Dokumenten. Sie war sehr bewegt, Fotos und Briefe aus dem persönlichen Besitz ihres Onkels zu bekommen.

 

»Schade, dass mein Vater diese Stunde nicht erleben und mit eigenen Augen die persönlichen Sachen seines Bruders sehen konnte.«

Ljubow Iwanowna Baran, die Nichte von Georg Baran.

 

Und das war noch nicht alles: In den Arolsen Archives befinden sich zudem Dokumente, die Auskunft über ihren Vater Iwan geben, der wie sein Bruder Zwangsarbeit für das Hitler-Regime leisten musste. Er war bis zur Befreiung durch die Alliierten in Deutschland registriert. Nach Kriegsende kehrte er in die Ukraine zurück. Auch Kopien dieser Dokumente sind nun im Besitz der Familie. Sie helfen dabei, die Familiengeschichte besser zu verstehen.

Es kommt vor allem in Mittel- und Osteuropa recht häufig vor, dass Familien erst durch die #StolenMemory-Kampagne Informationen über das Schicksal von Angehörigen erhalten, die als Zwangsarbeiter oder KZ-Häftlinge starben. So war es auch im Fall von Georg Baran. Seine Nichte möchte nun bald nach Deutschland reisen, um das Grab ihres Onkels zu besuchen.

Nina Iwanowna Dobrenka (rechts) von der Außenstelle des Ukrainischen Roten Kreuzes in Lwiw zeigt der Nichte von Georg Baran die Dokumente und Gegenstände aus den Arolsen Archives.

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