Die Geschwister, den Vater, die Freund*innen: Henri Boula trug ihre Fotos immer bei sich. Auch als die Nationalsozialisten ihn ins Konzentrationslager Neuengamme deportierten. Dort musste er seine persönliche Sammlung abgeben. Seine Nichte Arlette Ferahyan erhielt nun fast 77 Jahre nach Kriegsende die gestohlenen Sachen ihres Onkels von den Arolsen Archives zurück.

Henri Albert Boula wurde am 31. März 1922 in der französischen Stadt Joinville le Pont geboren. Sein aus Libreville (damals Französisch-Kongo) stammender Vater war nach Frankreich gegangen, wo er als Privatchauffeur arbeitete. Mit einer jungen Belgierin gründete er eine Familie und brachte acht Kinder zur Welt, darunter Henri. Als Henri Boulas Mutter 1932 starb, waren er und seine Geschwister Robert, Elisabeth und Geneviève noch sehr jung. Sie kamen deshalb zu französischen Pflegefamilien.

 

Henri Boula kämpfte in der Résistance

Nach Kriegsbeginn und dem Einmarsch der Deutschen in Frankreich wurde Henri Boula zur Zwangsarbeit verpflichtet. Er weigerte sich aber, nach Deutschland zu gehen, und schloss sich der Résistance in Champigny-sur-Marne in direkter Nähe zu Paris an. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits seine Fotosammlung angelegt, die ihm wohl persönlich viel bedeutete.

 

Henri Boula

 

Die Bilder zeigen seine Geschwister, Freunde und Bekannte. Es sind Momentaufnahmen aus glücklichen Tagen. Zu sehen sind fröhliche Gruppen, Spaziergänge am Fluss und Picknicks in der freien Natur. Auf den Fotos befinden sich häufig Widmungen: „An meinen kleinen lieben Henri, als Erinnerung an deine liebe Huguette und für dich, meine zartesten und liebevollsten Küsse“, schrieb ihm seine Verlobte zum Beispiel auf die Rückseite ihres Porträts.

 

Bei der Verhaftung hatte Boula 30 Fotos dabei

Am 4. Juni 1944 verhafteten die Nationalsozialisten Henri Boula und deportieren ihn von Compiègne aus in das Konzentrationslager Neuengamme. Dort musste er bei seiner Ankunft alle Sachen abgeben, die er bei sich trug. Neben über 30 Fotos waren das unter anderem Zugfahrkarten, getrocknete Blumen und ein kleiner Almanach für das Jahr 1944.

 

Porträt einer Unbekannten, laut Beschriftung auf der Rückseite aufgenommen im Oktober 1939 in Frankreich
Die Doppelseite für den Monat April in dem Almanach, den Henri Boula bei sich trug.

Persönliche Gegenstände

Die persönlichen Gegenstände wurden den Häftlingen bei ihrer Einlieferung ins Konzentrationslager abgenommen. Henri Boula hatte über 30 Fotos dabei, die teilweise auf der Rückseite beschriftet sind, und zudem eine Zugfahrkarte, getrocknete Blumen sowie einen kleinen Almanach für das Jahr 1944.

 

Henri Boula hat die KZ-Haft nicht überlebt. Sein Schicksal lässt sich nicht zweifelsfrei aufklären. Zwar wurden seine persönlichen Habseligkeiten vom International Tracing Service (heute Arolsen Archives) jahrzehntelang verwahrt, aber darüber hinaus befinden sich in unserem Bestand keine weiteren Informationen zu seinem Schicksal. Aus einem französischen Gedenkbuch geht hervor, dass er am 1. April 1945 im Auffanglager Sandbostel verstorben sein soll. Ein Augenzeuge schrieb der Familie hingegen, dass Henri im Konzentrationslager Bergen-Belsen an Typhus starb.

Über 75 Jahre nach Boulas Tod spürte unser belgischer Freiwilliger Georges Sougné die Angehörigen von Henri Boula auf. Dank seiner Hilfe war es uns nun möglich, die Besitztümer Henri Boulas an seine Familie zurückzugeben. Seine Nichte Arlette Ferahyan, Tochter seines ältesten Bruders Robert, nahm die kleine Sammlung in Empfang.

 

Foto aus der Sammlung von Henri Boula

 

#StolenMemory: Die Suche nach Angehörigen

Die persönlichen Gegenstände, die sogenannten Effekten, wurden den Häftlingen bei ihrer Einlieferung ins Konzentrationslager abgenommen. Es handelt sich etwa um Brieftaschen, Ausweispapiere, Fotos, Briefe, Urkunden sowie vereinzelt Modeschmuck, Zigarettenetuis, Eheringe, Uhren oder Füllfederhalter. Wertgegenstände hatten die Nationalsozialisten konfisziert. Die Effekten haben daher in der Regel keinen materiellen Wert, sind aber von hoher ideeller Bedeutung für die Familienangehörigen der ehemaligen Eigentümer.

Die Arolsen Archives bewahren noch rund 2.500 Effekten von Menschen aus ganz Europa auf, um sie den Angehörigen der Verfolgten zurückzugeben. Bei der Suche nach den Familien ist die Institution auf die Hilfe von Freiwilligen wie Georges Sougné angewiesen: Menschen, die gute Landes- und Sprachkenntnisse haben, sich für die Geschichte der NS-Verfolgung interessieren und Lust haben auf die spannende, aber auch aufwendige Vor-Ort-Recherche.

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