„Dank der Schüler*innen sind die Gegenstände zu uns zurückgekehrt.“
Es ist die erste Effekten-Übergabe von Schüler*innen an Angehörige von NS-Opfern: Im Rahmen der Kampagne #StolenMemory recherchierte eine Gruppe aus Freiwilligen eines Gymnasiums in Oświęcim nach Spuren von Tadeusz Sieprawski. Mit Erfolg: 75 Jahre nach seiner Deportation durch die Nationalsozialisten kann Anna Mazur die persönlichen Gegenstände ihres Großonkels Tadeusz Sieprawski in Empfang nehmen.
Im Alter von nur 19 Jahren verschleppten die Nationalsozialisten Tadeusz Sieprawski im Juni 1940 in das Konzentrationslager Auschwitz. Er erhielt die Häftlingsnummer 58. 1943 kam er ins KZ Neuengamme in Hamburg. Er starb im Mai 1945 in der Lübecker Bucht, als bei der Bombardierung der Schiffe Cap Arcona und Thielbek über 6000 KZ-Häftlinge ums Leben kamen. Seine Effekten wurden in den Arolsen Archives verwahrt.
Seine Geschichte gehört zu den 17 Schicksalen, die in einer im September 2019 eröffneten #StolenMemory Ausstellung in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Oświęcim/Auschwitz (IJBS) zu sehen sind. Am Tag der Eröffnung kamen auch ausgewählte Schulklassen aus Oświęcim. Die Jugendlichen erfuhren von der Zeitzeugin Wanda Różycka-Bilnik, welche Bedeutung eine Rückgabe persönlicher Gegenstände für die Angehörigen hat. Für eine Gruppe von sechs Schüler*innen sollte es der Auftakt sein, die Spuren eines Häftlings zu recherchieren und nach Angehörigen zu suchen. „Ich glaube, dies war der Moment, in dem jedes Mitglied unserer Gruppe eine Art von Berufung spürte“, sagt eine der Teilnehmenden des Projektes. Jeder aus einem anderen Grund: „Uns motivierte der Wunsch, die Wahrheit zu erfahren, das Bedürfnis zu helfen, die Faszination für Geschichte oder die Leidenschaft für das Lösen von Rätseln.“
Die Wahl der Schüler*innen fiel auf Tadeusz Sieprawski: Ein junger Mann aus Krakau, der als Kellner in einem Café gearbeitet hat und von den Nationalsozialisten mit dem ersten Transport polnischer Häftlinge ins KZ Auschwitz verschleppt wurde. Mithilfe von Dokumenten der Arolsen Archives sowie des Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau begannen die Jugendlichen ihre Suche – und fanden nach einer großangelegten Recherche schließlich Tadeusz Sieprawskis Großnichte Anna Mazur. „Ich war sprachlos, als ich den Anruf erhielt,“ erinnert sie sich. „Die ganze Familie hat auf ihn gewartet. Es ist, als würde er jetzt nach Hause zurückkehren.“
Für alle Beteiligten ist es ein großer Erfolg. Die IJBS plant nun gemeinsam mit den beteiligten Schüler*innen, das „Gesucht“-Plakat von Tadeusz Sieprawski in der Ausstellung durch ein neues „Gefunden“-Plakat auszutauschen. Für die Schüler*innen steht fest, dass sie weitermachen wollen. Sie sind bereits auf der Suche nach einer weiteren Familie. „All unsere Arbeit und unsere Bemühungen bei der Suche wurden mit der Freude von Frau Mazur belohnt. Wir sind absolut überzeugt, dass wir uns weiterhin am Projekt #StolenMemory beteiligen wollen.“